Steiner
Rudolf, 1861-1925, Schriftsteller und Begründer der organisierten anthroposophischen Bewegung. Schon als Kind hatte Steiner erste übersinnliche Erlebnisse. Er studierte Mathematik, Physik, Chemie und Biologie und gab in Kürschners Deutscher Nationalliteratur alle und in der Weimarer Goethe-Ausgabe einen Großteil von Goethes naturwissenschaftlichen Schriften heraus. In Weimar heiratete er Anna Eunike, von der er sich nach einigen Jahren wieder trennte. In dieser Zeit tat er sich durch die Veröffentlichung seiner ersten - philosophischen - Schriften, vor allem der "Philosophie der Freiheit", hervor. Er wurde Vorsitzender der deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft, aus der er austrat, als Charles Leadbeater und Annie Besant den Hinduknaben Krishnamurti zum zukünftigen Weltenlenker erklärten. Ab 1901 entwickelte er seinen neuen Weg der Geistesschulung, die von ihm so getaufte Anthroposophie. 1913 gründete er die Anthroposophische Gesellschaft. 1914 heiratete er seine langjährige Mitarbeiterin Marie von Sivers. Der Hauptsitz der Anthroposophischen Gesellschaft, das erste Goetheanum in Dornach / Schweiz, wurde in der Silvesternacht 1922 durch Brandstiftung zerstört. Darauf begründete Steiner 1923 die anthroposophische Gesellschaft als Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft neu. Befruchtende Impulse gab er Fachleuten aus den verschiedensten Richtungen, die sich mit der Bitte darum an ihn wandten; so schuf er neue Methoden für die Landwirtschaft (sowohl für den Ackerbau als auch für die Viehzucht, →biologisch-dynamische Landwirtschaft), die sich stark an astronomischen Tatsachen orientieren, hielt einen heilpädagogischen Kurs ab, in dem er genaue Anweisungen vor allem für die Ernährung von Problemkindern gab, erdachte die äußeren Formen für eine moderne Kirche, in der man wirklich noch etwas glauben kann, die aber trotzdem die Ehrfurcht vor dem Interessanten und Geheimnisvollen nicht verloren hat (die Christengemeinschaft), hielt einen nationalökonomischen Kurs ab, in dem er vor allem immer wieder darauf hinwies, dass man sich bei allem, was mit Wirtschaft zu tun hat, auf die konkreten Endprodukte konzentrieren muss, schrieb mit seinem Buch "Die Kernpunkte der sozialen Frage" ein Werk, in dem er eine organische Untergliederung unserer Welt in Wirtschaft, Geist und Recht vorausschaute, die weit über Montesquieus Gewaltenteilung nur im Rechtlichen hinausgeht (die von ihm so genannte Dreigliederung), hielt Kurse zur Medizin ab, aus denen eine eigene anthroposophische Heilkunst erwuchs, gab die weitesttragenden Anregungen zur Architektur (Goetheanum in Dornach / Schweiz, →anthroposophische Architektur), äußerte sich auch zu den anderen Natur- und Kulturwissenschaften in frei gehaltenen Vorträgen und regte 1919 die Begründung einer neuen Schulbewegung an, die, weil sie zuerst für die Arbeiterkinder der Stuttgarter Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik verwirklicht wurde, heute vor allem als Waldorfschule bekannt ist. Sein gedrucktes Werk umfasst über 450 Bände. Davon sind ungefähr 30 eigentliche Schriften, der Rest besteht aus Vorträgen, deren Stenogramme Steiner aber zum größten Teil nicht durchgesehen hat. Er wies deshalb ausdrücklich darauf hin, dass sich Fehlerhaftes darin finden werde. Rudolf Steiner hat einige Aquarellbilder gemalt, die für das Verständnis seiner Geistesart von Bedeutung sind, und auch auf dem Gebiet der Plastik hat er sich betätigt ("Der große Menschheitsführer" in Dornach, →anthroposophische Plastik). Nicht zuletzt durch seine zahllosen Wandtafelzeichnungen, die zum größten Teil noch vorhanden sind, hat er der Nachwelt eine ungeahnte Interpretationsarbeit überlassen.

Hans Dunkelberg