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DIE SEHNSUCHT DER JUDEN NACH PALÄSTINA

 Magazin für Literatur 1897, 66. Jg., Nr. 38

Rudolf Steiner

Nicht wenige kluge Leute werden jedes Wort überflüssig finden, das über die sonderbare Zusammenkunft gesprochen wird, die vor wenigen Tagen unter dem Namen «Zionisten-Kongreß» in Basel stattgefunden hat. Daß sich eine Anzahl europamüder Juden zusammenfindet, um die Idee zu propagieren, ein neues palästinisches Reich aufzurichten und die Auswanderung der Juden nach diesem neuen «gelobten Lande» zu bewirken, erscheint diesen Klugen als wahnsinnige Vorstellung einer krankhaft erregten Phantasie. Bei diesem Urteile beruhigen sie sich. Sie sprechen nicht weiter über die Sache. Ich aber glaube, daß diese Klugen mit ihrem Urteile um zehn Jahre hinter ihrer Zeit zurückgeblieben sind. Und zehn Jahre sind in unserer Zeit, in der die Ereignisse so rasch fließen, eine kleine Ewigkeit. Vor zehn Jahren konnte man mit einem gewissen Recht einen Juden für halb wahnsinnig halten, der auf die Idee verfallen wäre, seine Volksgenossen nach Palästina zu versetzen. Heute darf man ihn nur für überempfindlich und eitel halten; in weiteren zehn Jahren können die Dinge noch ganz anders liegen. Bei den Herren Herzl und Nordau, den gegenwärtigen Führern der Zionistenbewegung, glaube ich allerdings mehr Eitelkeit als gesteigerte Empfindlichkeit gegenüber der antisemitischen Strömung wahrzunehmen. Die banalen Phrasen, die Herzl in seiner Broschüre «Judenstaat» (M. Breitensteins Buchhandlung, Leipzig und Wien 1896) vorgebracht hat, und das Wortgeflunker, mit dem der sensationslüsterne Nordau in Basel seine Zuhörer beglückt hat, sind gewiß nicht aus den tiefsten Tiefen aufgewühlter Seelen entsprungen. Dafür aber stammen sie aus verständigen Köpfen, die wissen, was auf diejenigen Juden am stärksten wirkt, die ein empfindsames Herz und einen hochentwickelten Sinn für Selbstachtung haben. Diese letzteren Glieder des jüdischen Volkes werden, nach meiner Vermutung, die Gefolgschaft der Herren Herzl und Nordau bilden. Und die Zahl dieser Glieder ist wahrlich keine geringe.

Was nützt es, wenn noch so oft betont wird, daß sich die Juden, die so empfinden, in einem schweren Irrtum befinden? Sie wenden ihr Auge ab von den großen Fortschritten, welche die Emanzipation der Juden in den letzten Jahrzehnten gemacht hat, und sehen nur, daß sie noch von so und so vielen Stellen ausgeschlossen, in so und so vielen Rechten verkürzt sind; und außerdem hören sie, daß sie von den Antisemiten in der wüstesten Weise beschimpft werden. Sie tun so, weil ihr gekränktes Gemüt ihnen den Verstand umnebelt. Sie sind nicht imstande, die Ohnmacht des Antisemitismus einzusehen; sie erblicken nur seine Gefahren und seine empörenden Ausschreitungen. Wer ihnen sagt: sehet hin, wie aussichtlos die Machinationen der Judenhasser sind, wie alle ihre Unternehmungen in Blamage auslaufen, den blicken sie zweifelnd an. Ihr Ohr hat nur, wer ihnen wie Theodor Herzl sagt:

«In den Bevölkerungen wächst der Antisemitismus täglich, stündlich und muß weiter wachsen, weil die Ursachen fortbestehen und nicht behoben werden können. .

. . Unser Wohlergehen scheint etwas Aufreizendes zu enthalten, weil die Welt seit vielen Jahrhunderten gewohnt war, in uns die Verächtlichsten unter den Armen zu sehen. Dabei bemerkt man aus Unwissenheit oder Engherzigkeit nicht, daß unser Wohlergehen uns als Juden schwächt und unsere Besonderheiten auslöscht. Nur der Druck preßt uns wieder an den alten Stamm, nur der Haß unserer Umgebung macht uns wieder zu Fremden. So sind und bleiben wir denn, ob wir es wollen oder nicht,  eine historische Gruppe von erkennbarer Zusammengehörigkeit. Wir sind ein Volk — der Feind macht uns ohne unseren Willen dazu, wie das immer in der Geschichte so war». 

Und diejenigen, bei denen heute solche Sätze den mächtigsten Widerhall finden, waren noch vor ganz kurzer Zeit mit Leidenschaft bereit, das eigene Volkstum in das der abendländischen Stämme aufgehen zu lassen. Nicht der wirkliche Antisemitismus ist die Ursache dieser jüdischen Überempfindlichkeit, sondern das falsche Bild, das eine überreizte Phantasie sich von der judenfeindlichen Bewegung bildet. Wer mit Juden zu tun hat, der weiß, wie tief bei den Besten dieses Volkes die Neigung sitzt, sich ein solch falsches Bild zu machen. Das Mißtrauen gegen die Nichtjuden hat sich gründlich ihrer Seele bemächtigt. Sie vermuten auch bei Menschen, bei denen sie keine Spur von bewußtem Antisemitismus wahrnehmen können, auf dem Grunde der Seele einen unbewußten, instinktiven, geheimen Judenhaß. Ich rechne es zu den schönsten Früchten, welche menschliche Neigung treiben kann, wenn sie zwischen einem Juden und einem Nichtjuden jede Spur von Argwohn in der oben angedeuteten Richtung auslöscht. Einen Sieg über die menschliche Natur möchte ich fast eine solche Neigung nennen.

Es ist nicht ausgeschlossen, daß in kurzer Zeit solche Neigungen überhaupt unmöglich sein werden. Es kann eine Zeit kommen, in der bei jüdischen Persönlichkeiten die Empfindungssphäre so gereizt ist, daß jedes Verstehen mit Nicht-Juden zur Unmöglichkeit wird. Und auf das Ziehen intimer Fäden von Jude zu Nichtjude, auf das Entstehen gefühlsmäßiger Neigungen, auf tausend unaussprechliche Dinge, nur nicht auf vernünftige Auseinandersetzungen und Programme kommt es bei der sogenannten Judenfrage an. Es wäre das Beste, wenn in dieser Sache so wenig wie möglich geredet würde. Nur auf die gegenseitigen Wirkungen der Individuen sollte der Wert gelegt werden. Es ist doch einerlei, ob jemand Jude oder Germane ist: finde ich ihn nett, so mag ich ihn; ist er ekelhaft, so meide ich ihn. Das ist so einfach, daß man fast dumm ist, wenn man es sagt. Wie dumm muß man aber erst sein, wenn man das Gegenteil sagt!

Ich halte die Antisemiten für ungefährliche Leute. Die Besten unter ihnen sind wie die Kinder. Sie wollen etwas haben, dem sie die Schuld zuschreiben können an einem Übel, an dem sie leiden. Wenn ein Kind einen Teller fallen läßt, dann sucht es nach irgendwem oder nach irgend etwas, das es gestoßen hat, das die Schuld an dem Unfalle hat. In sich selbst sucht es nicht die Ursache, die Schuld. So machen es die Antisemiten. Es geht vielen Leuten schlecht. Sie suchen nach etwas, das die Schuld hat. Die Verhältnisse haben es mit sich gebracht, daß viele gegenwärtig dieses Etwas in dem Judentume sehen.

Viel schlimmer als die Antisemiten sind die herzlosen Führer der europamüden Juden, die Herren Herzl und Nordau. Sie machen aus einer unangenehmen Kinderei eine welthistorische Strömung; sie geben ein harmloses Geplänkel für ein furchtbares Kanonenfeuer aus. Sie sind Verführer, Versucher ihres Volkes. Sie opfern die Verständigung, die alle Vernünftigen wünschen müßten, ihrer Eitelkeit, die nach — Programmen dürstet, weil — wo Taten fehlen, zur rechten Zeit ein Programm sich einstellt.

So ungefährlich der Antisemitismus an sich ist, so gefährlich wird er, wenn ihn die Juden in der Beleuchtung sehen, in die ihn die Herzl und Nordau rücken. Und sie verstehen sich auf die Sprache der Versucher, diese Herren: 

«Man wird in den Tempeln beten für das Gelingen des Werkes. Aber in den Kirchen auch! Es ist die Lösung eines alten Druckes, unter dem alle litten. Aber zunächst muß es licht werden in den Köpfen. Der Gedanke muß hinausfliegen bis in die letzten jammervollen Nester, wo unsere Leute wohnen. Sie werden aufwachen aus ihrem dumpfen Brüten. Denn in unser aller Leben kommt ein neuer Inhalt. Jeder braucht nur an sich selbst zu denken, und der Zug wird schon ein gewaltiger. Und welcher Ruhm erwartet die selbstlosen Kämpfer für die Sache! Darum glaube ich, daß ein Geschlecht wunderbarer Juden aus der Erde wachsen wird. Die Makkabäer werden wieder aufstehen.» 

Also Herr Theodor Herzl in seiner Schrift «Der Judenstaat». 

Ich fürchte: es wird eine Zeit kommen, wo die Juden uns Nichtjuden nichts mehr glauben von dem, was wir ihnen über den Antisemitismus sagen, und dafür ihren jüdischen Verführern alles nachbeten. Und wie so viele Betörte werden die gefühlvollen Juden die leeren Phrasen dieser Verführer in die Sprache ihres Herzens umsetzen. Die Verführten werden leiden; die Verführer aber werden triumphieren über die Erfolge, die ihre Eitelkeit errungen hat.

In Basel ist im Grunde über die Frage entschieden worden: was soll getan werden, um die Lösung der Judenfrage so unmöglich zu machen, wie es nur irgend angeht. Ob die Herren Herzl und Nordau wirklich daran glauben, daß das palästinensische Reich errichtet werden könne, vermag ich nicht zu entscheiden. Ich nehme zu Ehren ihrer Intelligenz hypothetisch an, daß sie nicht daran glauben. Wenn ich mit dieser meiner Annahme recht habe, dann muß man diesen Führern den Vorwurf machen, daß sie einer Auseinandersetzung zwischen Juden und Nichtjuden mehr Hindernisse in den Weg legen als die antisemitischen Wüteriche.

Die Zionistische Bewegung ist ein Feind des Judentums. Die Juden täten am besten, wenn sie die Leute, die ihnen Gespenster vormalen, sich genau ansähen. 

 

aus GA 31 (1966), S. 196 ff

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