Forum für Anthroposophie, Waldorfpädagogik und Goetheanistische Naturwissenschaft
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Rudolf Steiner

ANTHROPOSOPHIE UND IDEALISMUS

Das Goetheanum, II 38, 29. April 1923

Man würde der Anthroposophie mehr Verständnis entgegenbringen, als dies heute von mancher Seite geschieht, wenn man sich in das Wesen der Geisteskämpfe vertiefen würde, die in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts stattgefunden haben.

Das war die Zeit, in welcher gewissen Denkern der Sieg des naturwissenschaftlichen Forschens über das philosophische Streben, wie es sich in der vorangehenden Epoche betätigt hatte, entschieden schien. Man wies da auf Hegel hin, der nach der Meinung dieser Denker aus der Idee habe die ganze Welt herausentwickeln wollen, der aber in seinen Gedankenkonstruktionen die Welt der Wirklichkeit völlig verloren habe; während die souveräne Naturwissenschaft von dieser Wirklichkeit ausgehe und sich auf Ideen nur so weit einlasse, als die Beobachtung der Sinneswelt dies gestatte.

Dieser Denkungsart schienen die positiven Ergebnisse der Naturforschung in allen Punkten Recht zu geben. Man braucht nur Bücher, wie etwa Moriz Carrieres 1877 erschienene «Sittliche Weltordnung» eindringlich durchzulesen, und man wird sich dadurch mit einem Geisteskämpfer bekanntmachen, welcher der «souveränen Naturwissenschaft» gegenüber das Recht des Idealismus verteidigen wollte. Solche Geisteskämpfer gab es in jener Zeit viele. Man kann wohl sagen, die tonangebende Geistesrichtung ist über sie hinweggeschritten in dem Bewußtsein, daß deren Sache verloren sei. Es ist ihnen allmählich keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt worden. Sie wollten durch ihren wissenschaftlichen Idealismus der Menschheit das Erkennen der geistigen Welt retten. Sie durchschauten, daß die «souveräne Naturwissenschaft» diese Erkenntnis gefährden muß. Sie setzten dem sinnlich Beobachteten die im menschlichen Selbstbewußtsein lebende Ideenwelt gegenüber und glaubten in dieser ein Zeugnis dafür zu besitzen, daß Geist in der Welt waltet. Sie vermochten aber ihre Gegner nicht zu überzeugen, daß die Ideenwelt von einer anderen Wirklichkeit spricht als die ist, auf welcher die Naturwissenschaft baut.

Die Anthroposophie empfindet anders, wenn sie zu diesen Geisteskämpfern zurücksieht, als die auf dem Boden der «souveränen Naturwissenschaft» stehenden Denker. Sie sieht in ihnen Persönlichkeiten, die bis zu dem Tore der Geisteswelt kamen, die aber nicht die Kraft hatten, dieses Tor zu öffnen. Der wissenschaftliche Idealismus hat recht; aber nur so weit wie jemand, der sich vorsetzt, eine Gegend zu betreten, der aber nur das Wollen aufbringt, bis an die Grenze der Gegend zu gelangen, nicht aber das andere, diese Grenze auch zu überschreiten.

Die Ideen, aufweiche Carriere und seine Gesinnungsgenossen verwiesen, sind wie der Leichnam eines Lebewesens, der in seiner Gestaltung auf das Lebendige deutet, es aber nicht mehr enthält. Auch die Ideen des wissenschaftlichen Idealismus deuten auf das Leben des Geistes, sie enthalten es aber nicht. - Der wissenschaftliche Idealismus strebte nach den Ideen; die Anthroposophie strebt nach dem Geistesleben in den Ideen. Sie findet hinter der Denkkraft, die sich zu den Ideen erhebt, eine geistige Bildekraft, welche den Ideen innewohnt wie das Leben dem Organismus. Hinter dem Denken liegt in der menschlichen Seele die Imagination. Wer Wirklichkeit nur erleben kann in Anlehnung an die Sinneswelt, der muß diese Imagination nur als eine andere Form der Phantasie ansehen.

In der Phantasie erschafft sich der Mensch eine Bilderwelt, der er im Verhältnis zum Sinnesdasein keine Wirklichkeit zuschreibt. Er gestaltet diese Welt sich zur Freude, zum innerlichen Wohlgefallen. Er kümmert sich nicht darum, woher er die Gabe zur Erschaffung dieser Welt hat. Er läßt sie aus seinem Innern hervorquellen, ohne sich auf ihren Ursprung zu besinnen.

In der Anthroposophie erfährt man etwas über diesen Ursprung. Was da im Menschen waltet als die oft so beglückende Phantasie, ist das Kind des Kräftewesens, das im Kinde wirkt, wenn es wächst, was im Menschenwesen überhaupt tätig ist, wenn dieses die toten Stoffe zur Menschenform erbildet. Die Welt hat im Menschen etwas übrig gelassen von dem Maß dieser Wachstums-, dieser bildenden Kraft, etwas, das sie zur Gestaltung des Menschenwesens nicht aufbraucht. Der Mensch setzt sich in Besitz dieses Restes der Kraft, die sein eigenes Wesen gestaltet, und entfaltet ihn als Phantasie. Auch an der Pforte dieser Erkenntnis stand einer der Geisteskämpfer, auf die hier hingedeutet ist. Frohschammer, Carrieres Zeitgenosse, hat eine Anzahl Bücher geschrieben, in denen er die Phantasie zur Weltschöpferin macht wie Hegel die Idee oder Schopenhauer den Willen.

Aber man kann bei der Phantasie so wenig stehen bleiben, wie bei der Idee. Denn in der Phantasie ist ein Rest der weltschöpferischen Kraft wirksam, die im Menschenwesen gestaltend wirkt. Es muß mit der Seele auch hinter die Phantasie gedrungen werden.

Das geschieht in der imaginativen Erkenntnis. Diese setzt die Phantasietätigkeit nicht etwa bloß fort; sie bleibt zunächst in ihr stehen, empfindet deutlich, warum sie sich dem Sinnesdasein gegenüber nur zur Unwirklichkeit bekennen kann, kehrt aber nun auf dem Wege um und gelangt rückwärts schreitend zum Ursprünge der Phantasie und des Denkens. Sie rückt dadurch in die geistige Wirklichkeit ein, die sich ihr im Weiterdringen durch Inspiration und Intuition (geistige Wahrnehmung) offenbart. Sie steht in dieser geistigen Wirklichkeit wie die sinnliche Wahrnehmung in der physischen Wirklichkeit steht.

Die Imagination kann nur derjenige mit der Phantasie verwechseln, der den Lebensruck nicht empfindet zwischen dem Bewußtsein, das von den Sinnen abhängig ist und demjenigen, das im Geiste lebt. Ein solcher aber gliche dem, der aus einem Traume erwacht, aber das Erwachen nicht als einen Lebensruck empfindet, sondern beide Erlebnisse, das Träumen und das Wachsein, als gleichbedeutend ansähe.

Der abstrakte Denker fürchtet, daß in der Imagination weiter phantasiert werde; der künstlerische Mensch empfindet es leicht unbehaglich, daß die Phantasietätigkeit, in der er sich freischaffend, von der Wirklichkeit unbehelligt, entfalten will, eine andere Tätigkeit gelten lassen soll, deren Kind sie zwar ist, die aber im Bereich einer wahren Wirklichkeit waltet. Er vermeint, dadurch fiele auf das freie Kind der Menschenseele ein Schatten. Doch das ist nicht der Fall. Sondern das Erleben der geistigen Wirklichkeit läßt das Herz nur höher schlagen bei der Erkenntnis, daß der Geist mit der Kunst in die Sinneswelt einen Sprößling sendet, der in dieser nur deshalb als unwirklich erscheint, weil er seinen Ursprung «in einer ändern Welt hat».

Anthroposophie möchte das Tor öffnen, an dem edle Geisteskämpfer in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts gestanden haben, ohne die Kraft, dieses Tor aufzuschließen. Ihnen hat die Denkkraft den Weg bis zu den Ideen gewiesen; aber diese Denkkraft erstarrte in den Ideen; Anthroposophie hat die Aufgabe, das Schmelzen der erstarrten Kraft zu bewirken.

 

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