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Rudolf Steiner

DIE SCHAFFENSHÖHE GOETHES IM LICHTE BENEDETTO CROCES

Das Goetheanum, III 2, 19. August 1923

 

Wenn man aus Croces Goethebuch die treffsicheren Gedanken über den Werther empfangen hat, und dann weiterliest über den Faust, so verwandelt sich tiefe Befriedigung zunächst in verwirrendes Erstaunen. Die ersten Faustszenen muten in der Spiegelung aus Croces Ideen noch wie eine lebendige Dichtung Goethes an; was Goethe weiter am Faust geschaffen hat, tritt in Croces Schilderung als ein abstraktes Gedankengebilde auf. Das künstlerische Empfinden verliert den Atem, indem es dieser Schilderung folgt.

Die Betrachtungsart, die Croce für den Werther gewonnen hat, leitet ihn noch für die Faustszenen, die Goethe in seiner Jugend geschrieben hat. Über sie findet man diese Ansicht: «Als Goethe seinen Faust in der Art anlegte, wie er in den ersten Auftritten dasteht, war er noch nicht der bewußte Kritiker des <Faustgedankens> geworden, er fühlte sich im Gegenteil eins mit ihm, und auch nach dieser Seite hin ist seine wirkliche und wahrhafte Kritik (wenn man sie so nennen darf) vollkommen dichterischer Art, ähnlich jener, die bereits an den Gestalten Werthers und Wagners merkbar wird und in der Unbefangenheit und der Vollkommenheit der Darstellung selbst liegt.»

Was aus Goethes Geist in den Faust eingeströmt ist, indem er seine Menschenwesenheit von Stufe zu Stufe zu einer umfassenden Weltbetrachtung hinaufführte, das verliert für Croces Anschauungsart die Lebendigkeit; es entgleitet diesem geistvollen Goethebetrachter in ein Reich dünngesponnener, lebensarmer Begriffe.

Goethe aber verfiel nicht, wenn er das Gebiet äußerlich erlebbaren Daseins verließ, in das Reich frostiger Allegorien, oder wirklichkeitsfremder Symbole. Sein sicherer Instinkt trug ihn in die wirkliche geistige Welt hinein, in der man erst den wahren, allseitig sich offenbarenden Menschen findet. Und ihm gelang nicht nur die dichterisch lebendige Gestaltung der Außenseite des Daseins, sondern auch die des inneren Menschen. Und es entstand in dieser Gestaltung nicht ein schattenhaftes Ideensein, sondern das schöpferische Geistsein, das alles, was es in sich trägt, auch in dem äußeren Bilde zu offenbaren vermag. Weil er dies vermochte, und weil ihm die Dichterkraft nicht verloren ging beim Aufstieg in das Geistige, deshalb blieb der Faust lebensvoll, auch als ihn Goethe jedesmal, da er wieder arbeitend an ihn heranging, um eine Stufe hinaufrückte in die Welt, die nur einer Geistesschau offenbar wird.

In diese Gebiete will Croce Goethe nicht folgen. Deshalb entschwindet ihm das volle Leben in Goethes Faustschöpfung; er sieht da frostige Allegorien, wo Goethe lebendige Geist-Wirklichkeit hinstellt. So ist ihm nur der in Goethes Jugend entstandene Faust-Teil eine lebendige Schöpfung, nicht die im späteren Alter gedichteten. Nur aus diesem Grunde kann Croce sagen: «Der in seinem Titanentum erhabene Faust ist in der neuen Person ganz verwischt. Kaum daß der gleichgebliebene Name hinreicht, ihn uns in Erinnerung zu bringen. Wir könnten ihn < Heinrich > nennen, wie das unselige Gretchen, irgendeinen Heinrich oder Franz. Das ist er und mußte es sein, um der größeren einheitlichen Kraft der Tragödie willen, die er herbeiführt, deren Held er aber mitnichten ist.»

Man will nach dem Grunde forschen, warum Croce gegenüber Goethe in eine solch dramatische Gedankenverwirrung hineinführt. Man findet diesen Grund darin, daß ihm die Möglichkeit fehlt, sich bis zu einer Erfassung des ganzen Wesens Goethes hindurchzuringen. Goethe konnte sich zu dem, was ihm Dichtung, Kunst war nur erheben, indem er seinem Erkenntnistrieb auf dem Gebiete des Naturwissens zu einer Anschauung verhalf, für welche Kunst eine Offenbarung geheimer Naturgesetze ist, die ohne das künstlerische Schaffen niemals offenbar würden. Dadurch wurde Goethe zum Urheber einer geistgemäßen Naturwissenschaft, die ihn in Gegensatz brachte zu derjenigen, die sich im Laufe von drei bis vier Jahrhunderten die allgemeine Geltung verschafft hat. Diese seine Naturanschauung trug Goethe hinauf in eine Region des dichterischen Schaffens, die in der Geisteswelt frei waltet.

Croce folgt auf diesem Gebiete Goethe nicht. Er findet ihn überall unzulänglich, wo er ihn als Naturforscher antrifft. Croce ist ganz in der allgemein geltenden Naturauffassung befangen. Er sagt in dieser Beziehung von Goethe: «Es mag sein - und es ist sogar sicher -, daß er mit seinem Begriff eines Naturwissens, das in den verschiedenen Erscheinungsreihen das <Urphänomenon> aufsuchen sollte, als einer Idee, die gleichzeitig gedacht und erschaut wird, im Unrecht war, Wissenschaft und Dichtung vermengt hat, wie es im übrigen auch den zeitgenössischen <Naturphilosophen> zustieß. Es mag (und wird) sein, daß er mit seiner herben Kritik Newtons und mit der Ablehnung der Mathematik in den Naturwissenschaften ein großes Unrecht beging ---.» Wer so spricht, der kann doch nicht die volle Tiefe der Weltanschauung finden, in die Goethe seinen Faust führen wollte. Und man fängt von diesen Sätzen an, zu begreifen, warum Croce eine «gewisse Zärtlichkeit» für den Famulus Wagner und eine Neigung zu einer herben Kritik über den Faust empfindet.

Die sichere Empfindung, die Croce gegenüber dem Werther hat, verläßt ihn schon, indem er den «Götz von Berlichingen » betrachtet. Da sagt er: «Auch was den Götz anlangt, muß man sich von den Vorurteilen freimachen, die von den Neigungen der Zeitgenossen bis zu uns herab wirken ... Götz ist Schillers Räubern nicht gleichzusetzen; Goethe konnte ihm nicht jenen Atem der politischen Leidenschaft und Empörung einhauchen, der ihm stets mangelte, auch damals, als er noch jung und feurig war. Er las die Selbstschilderung des kleinen Standesherrn und Kriegers, der zur Reformationszeit gelebt hatte, begeisterte sich an den Schicksalen und Sitten, die hier vorgeführt waren, und machte sich daran, sie darzustellen, bühnenmäßig zusammengedrängt, nach dem Vorbild der englischen Geschichtsdramen Shakespeares.» - Daß Goethe, indem er die Lebensbeschreibung Gottfrieds von Berlichingen dramatisierte, nach einem seiner Weltbetrachtung gemäßen dramatischen Stil strebte, das sieht Croce gar nicht. Das Ringen Goethes nach der Gestaltung in Stilformen bleibt ihm ganz verborgen. Deshalb verkennt er Goethe da, wo dieser in seinem kraftvollen Ringen den Stoff seiner Dichtungen nicht zur gestaltenden Vollendung bringen kann, wie zum Beispiel im Wilhelm Meister. Wer in Goethes Wesensart eindringt, für den wird dessen Ansatz zur Gestaltung gerade da, wo die Ziele wegen ihrer Größe nicht erreicht werden, besonders bedeutsam. Aber um ein solch «faustisches» Streben bei Goethe zu würdigen, hat Croce doch zu viel zärtliche Neigung zu dem Famulus Wagner.

Wird man so in eine dramatische Gedankenwirrnis getrieben, indem man die mittleren Teile von Croces Goethebuch liest, so befindet man sich geradezu in der Katastrophe der Tragödie, wenn man zur Ausführung über den zweiten Teil des Faust vordringt. - Restlos zugestanden werden muß, daß Croce durch das ganze Buch hindurch sich das Graziöse seines Stiles bewahrt, der die Lektüre auch da, wo sie ärgerlich wird, immer wieder doch von einer gewissen Seite sympathisch macht. Aber dieser Ärger, der auf so graziöse Art bewirkt wird, kann doch stark sein, wenn die Teile, in denen Goethe in der Vollendung seines Alters den Faust auf die Höhen der Menschheit führt, so geschildert werden: «Was ist dies nun ? Das Bilderspiel eines alten Künstlers, längst erprobt als Meister unzähliger Gestalten und Zustände, aus Wirklichkeit und Schrifttum genommen, der seine Freude daran hat, sie derart im Spiele an seinem Geiste vorüberziehen zu lassen; dann die Weisheit des in Welt- und Menschenwesen erfahrenen Mannes, der schon so vielen geistigen und sittlichen Schicksalen zugeschaut hat, und ohne dadurch Zweifler und stumpf geworden zu sein, vielmehr seinen eigenen lebendigen Glauben rettend, sich doch nicht mehr durch sie zu überschäumender Begeisterung oder zu wütendem Haß fortreißen läßt; dieser Weisheit drängt sich aber gern ein Lächeln auf die Lippen, und der Glaube selbst drückt sich in zurückhaltender Weise aus, mitunter nicht ohne scherzhaftes Behagen. ... Man darf nicht einmal glauben, daß ... im zweiten Teile des Faust philosophische Tiefe liege ...» Und von dieser «Höhe der Betrachtung» empfiehlt dann Croce folgende Art, den zweiten Teil des Faust zu lesen: «Hat man durch erstes, aufmerksames Lesen eine gewisse Vertrautheit mit dem Buche gewonnen, so empfiehlt es sich, beim Wiedervornehmen nicht das Ganze vom Anfang bis zum Ende durchzunehmen, wie man es beim Werther oder der Gretchentragödie tun wird, sondern es bald hier, bald dort aufzuschlagen und eine Phantasmagorie zu verfolgen, ein Bildchen zu genießen, über ein satirisches Gemälde zu lächeln.»

Ich aber möchte sagen: Nachdem man Croces Buch durchgelesen hat, greife man zu Eckermanns «Gesprächen mit Goethe», um die Katastrophe zu ertragen. 

 

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