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Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik

Rudolf Steiner

SECHSTER VORTRAG

Stuttgart, 27. August 1919

Wir haben bisher versucht, den Menschen zu begreifen, insofern uns dieses Begreifen für die Erziehung des Kindes notwendig ist, vom seelischen Standpunkte aus. Wir werden ja die drei Standpunkte auseinanderhalten müssen - den geistigen, den seelischen und den physischen Standpunkt - und werden, um eine vollständige Anthropologie zu bekommen, von jedem dieser Standpunkte aus den Menschen betrachten. Es liegt am nächsten, die seelische Betrachtung zu vollziehen, weil dem Menschen im gewöhnlichen Leben eben das Seelische am nächsten liegt. Und Sie werden auch empfunden haben, daß wir, indem wir zu diesem Begreifen des Menschen als Hauptbegriffe verwendet haben Antipathie und Sympathie, damit auf das Seelische hingezielt haben. Es wird sich für uns nicht entsprechend erweisen, wenn wir vom Seelischen gleich auf das Leibliche übergehen, denn wir wissen aus unseren geisteswissenschaftlichen Betrachtungen heraus, daß das Leibliche nur gefaßt werden kann, wenn es als eine Offenbarung des Geistigen und auch des Seelischen aufgefaßt wird. Daher werden wir zu der seelischen Betrachtung, die wir in allgemeinen Linien skizziert haben, jetzt hinzufügen eine Betrachtung des Menschen vom geistigen Gesichtspunkte aus, und wir werden dann erst auf die eigentliche, jetzt so genannte Anthropologie, auf die Betrachtung des Menschenwesens, wie es sich in der äußeren physischen Welt zeigt, näher eingehen.

Wenn Sie von irgendeinem Gesichtspunkt aus den Menschen zweckmäßig betrachten wollen, so müssen Sie immer wieder und wieder zurückgehen auf die Gliederung der menschlichen Seelentätigkeiten in Erkennen, das im Denken verläuft, in Fühlen und in Wollen. Wir haben bis jetzt Denken oder Erkennen, Fühlen und Wollen in die Atmosphäre von Antipathie und Sympathie gerückt. Wir wollen jetzt einmal eben vom geistigen Gesichtspunkte aus Wollen, Fühlen und Erkennen ins Auge fassen.

Sie werden auch vom geistigen Gesichtspunkte aus einen Unterschied finden zwischen Wollen, Fühlen und denkendem Erkennen. Betrachten Sie nur das Folgende. Indem Sie denkend erkennen, müssen Sie empfinden - wenn ich mich zunächst bildlich ausdrücken darf, aber das Bildliche wird uns zu Begriffen verhelfen -, daß Sie gewissermaßen im Lichte leben. Sie erkennen und fühlen sich ganz drinnen mit Ihrem Ich in dieser Tätigkeit des Erkennens. Gewissermaßen jeder Teil, jedes Glied derjenigen Tätigkeit, die Sie Erkennen nennen, ist drinnen in alledem, was Ihr Ich tut; und wieder: was Ihr Ich tut, ist drinnen in der Tätigkeit des Erkennens. Sie sind ganz im Hellen, Sie leben in einer vollbewußten Tätigkeit, wenn ich mich begrifflich ausdrücken darf. Es wäre auch schlimm, wenn Sie beim Erkennen nicht in einer vollbewußten Tätigkeit wären. Denken Sie einmal, wenn Sie das Gefühl haben müßten: während Sie ein Urteil fällen, geht mit Ihrem Ich irgendwo im Unterbewußten etwas vor, und das Ergebnis dieses Vorganges sei das Urteil! Nehmen Sie an, Sie sagen: Dieser Mensch ist ein guter Mensch -, fällen also ein Urteil. Sie müssen sich bewußt sein, daß das, was Sie brauchen, um dieses Urteil zu fällen - das Subjekt «der Mensch», das Prädikat «er ist ein guter» -, Glieder sind eines Vorganges, der Ihnen ganz gegenwärtig ist, der für Sie ganz vom Lichte des Bewußtseins durchzogen ist. Müßten Sie annehmen, irgendein Dämon oder ein Mechanismus der Natur knäuele zusammen den «Menschen» mit dem «Gutsein», während Sie das Urteil fällen, dann wären Sie nicht vollbewußt in diesem erkennenden Denkakt drinnen, und Sie wären immer mit etwas vom Urteil im Unbewußten. Das ist das Wesentliche beim denkenden Erkennen, daß Sie in dem ganzen Weben der Tätigkeit beim denkenden Erkennen mit Ihrem vollen Bewußtsein drinnenstecken.

Nicht so ist es beim Wollen. Sie wissen ganz gut, wenn Sie das einfachste Wollen, das Gehen, entwickeln, so leben Sie eigentlich vollbewußt nur in der Vorstellung von diesem Gehen. Was innerhalb Ihrer Muskeln sich vollzieht, während Sie ein Bein nach dem anderen vorwärts bewegen, was da im Mechanismus und Organismus Ihres Leibes vorgeht, von dem wissen Sie nichts. Denken Sie nur, was Sie alles zu lernen haben würden von der Welt, wenn Sie alle die Vorrichtungen bewußt vollziehen müßten, welche beim Wollen des Gehens notwendig sind! Sie müßten dann genau wissen, wieviel von den Tätigkeiten, welche die Nahrungsstoffe in den Muskeln Ihrer Beine und in den anderen Körpermuskeln hervorrufen, verbraucht wird, während Sie sich anstrengen, zu gehen. Sie haben das nie ausgerechnet, wieviel Sie von dem verbrauchen, was Ihnen die Nahrung zuführt. Sie wissen ganz gut: Das alles geschieht in Ihrer Körperlichkeit sehr, sehr unbewußt. Indem wir wollen, mischt sich fortwährend in unsere Tätigkeit ein tiefes Unbewußtes hinein. Das ist nicht etwa bloß so, wenn wir das Wesen des Wollens an unserem eigenen Organismus betrachten. Auch was wir vollbringen, wenn wir unser Wollen auf die äußere Welt erstrecken, auch das umfassen wir keineswegs vollständig mit dem Lichte des Bewußtseins.

Nehmen Sie an, Sie haben zwei säulenartige Pflöcke. Sie nehmen sich vor, Sie legen einen dritten Pflock quer darüber. Unterscheiden Sie jetzt genau, was in alledem, was Sie da getan haben, als vollbewußte erkennende Tätigkeit lebt, von dem, was

in Ihrer vollbewußten Tätigkeit lebt, wenn Sie das Urteil fällen: Ein Mensch ist gut -, wo Sie mit Ihrem Erkennen ganz drinnenstecken. Unterscheiden Sie bitte, was darin als erkennende Tätigkeit lebt, von dem, wovon Sie nichts wissen, trotzdem Sie es mit Ihrem vollen Willen zu tun hatten: Warum stützen diese zwei Säulen durch gewisse Kräfte diesen darüberliegenden Balken? Dafür hat ja die Physik bis heute nur Hypothesen. Und wenn die Menschen glauben, daß sie wissen, warum die beiden Pflöcke den Balken tragen, so bilden sie es sich nur ein. Alles, was man hat als Begriffe der Kohäsion, der Adhäsion, der Anziehungs- und Abstoßungskraft, sind im Grunde genommen für das äußere Wissen nur Hypothesen. Wir rechnen mit diesen äußeren Hypothesen, indem wir handeln; wir rechnen damit, daß die beiden Pflöcke, die den Balken tragen sollen, nicht zusammenknicken werden, wenn sie eine gewisse Dicke haben. Aber durchschauen können wir den ganzen Vorgang, der damit zusammenhängt, nicht, geradesowenig wie wir unsere Beinbewegungen durchschauen können, wenn wir vorwärts streben. So mischt sich auch hier in unser Wollen ein nicht in unser Bewußtsein hineinreichendes Element hinein. Das Wollen hat im weitesten Umfange ein Unbewußtes in sich.

Und das Fühlen steht zwischen Wollen und denkendem Erkennen mitten drinnen. Beim Fühlen ist es auch so, daß es zum Teil von Bewußtsein durchzogen wird, zum Teil von einem Unbewußten. Das Fühlen nimmt auch in dieser Weise teil an der Eigenschaft eines erkennenden Denkens, auf der anderen Seite an der Eigenschaft eines fühlenden oder gefühlten Wollens. Was liegt denn nun da eigentlich vom geistigen Gesichtspunkte aus vor?

Sie kommen nur zurecht, wenn Sie sich vom geistigen Gesichtspunkte aus die oben charakterisierten Tatsachen in der folgenden Art zum Begreifen bringen. Wir reden in unserem gewöhnlichen Leben vom Wachen, von dem wachen Bewußtseinszustande. Aber wir haben diesen wachen Bewußtseinszustand nur in der Tätigkeit des erkennenden Denkens. Wenn Sie also ganz genau davon reden wollen, inwiefern der Mensch wacht, so müssen Sie sagen: Wirklich wachend ist der Mensch nur, solange und insofern er ein denkender Erkenner von irgend etwas ist.

Wie steht es nun mit dem Wollen? Sie kennen alle den Bewußtseinszustand - nennen Sie es meinetwillen auch Bewußtseinslosigkeitszustand - des Schlafes. Sie wissen, während wir schlafen, vom Einschlafen bis zum Aufwachen, ist das, was wir erleben, nicht in unserem Bewußtsein drinnen. Geradeso ist es aber auch mit alledem, was als Unbewußtes unser Wollen durchzieht. Insofern wir wollende Wesen sind als Menschen, schlafen wir, auch wenn wir wachen. Wir tragen immer mit uns einen schlafenden Menschen, nämlich den wollenden Menschen, und begleiten ihn mit dem wachenden, mit dem denkend erkennenden Menschen; wir sind, insofern wir wollende Wesen sind, auch vom Aufwachen bis zum Einschlafen schlafend. Es schläft immer etwas in uns mit, nämlich die innere Wesenheit des Wollens. Der sind wir uns nicht stärker bewußt, als wir uns derjenigen Vorgänge bewußt sind, die sich mit uns abspielen während des Schlafes. Man erkennt den Menschen nicht vollständig, wenn man nicht weiß, daß das Schlafen in sein Wachen hereinspielt, indem der Mensch ein Wollender ist.

Das Fühlen steht in der Mitte, und wir dürfen uns jetzt fragen: Wie ist das Bewußtsein im Fühlen? - Das steht nun auch in der Mitte zwischen Wachen und Schlafen. Gefühle, die in Ihrer Seele leben, kennen Sie gerade so, wie Sie Träume kennen, nur daß Sie die Träume erinnern und die Gefühle unmittelbar erleben. Aber die innere Seelenverfassung und Seelenstimmung die Sie haben, indem Sie von Ihren Gefühlen wissen, ist keine andere als die, welche Sie gegenüber Ihren Träumen haben. Sie sind im Wachen nicht nur ein wachender Mensch, indem Sie denkend erkennen, und ein schlafender, insofern Sie wollen, Sie sind auch ein träumender, insofern Sie fühlen. So sind also tatsächlich drei Bewußtseinszustände während unseres Wachens über uns ergossen: das Wachen im eigentlichen Sinne im denkenden Erkennen, das Träumen im Fühlen, das Schlafen im Wollen. Der gewöhnliche traumlose Schlaf ist vom geistigen Gesichtspunkte aus angesehen nichts anderes als die Hingabe des Menschen mit seiner ganzen Seelenwesenheit an das, woran er hingegeben ist mit seinem Wollen, während er seinen Tageslauf vollbringt. Es ist nur der Unterschied, daß wir im eigentlichen Schlafen mit unserem ganzen Seelenwesen schlafen, daß wir im Wachen nur schlafen mit unserem Wollen. Beim Träumen, was man im gewöhnlichen Leben so nennt, ist es so, daß wir mit unserem ganzen Menschen an den Seelenzustand hingegeben sind, den wir Traum nennen, und daß wir im Wachen nur als fühlender Mensch an diesen träumerischen Seelenzustand hingegeben sind.

Pädagogisch betrachtet werden Sie sich jetzt nicht mehr verwundern, wenn Sie die Sache so ansehen, daß die Kinder verschieden sind mit Bezug auf die Wachheit ihres Bewußtseins. Denn Sie werden finden, daß Kinder, bei denen das Gefühlsleben der Anlage gemäß überwiegt, träumerische Kinder sind, so daß solche Kinder, bei denen in der Kindheit eben das volle Denken noch nicht aufgewacht ist, leicht hingegeben sein werden an ein träumerisches Wesen. Das werden Sie dann zum Anlaß nehmen, um durch starke Gefühle auf ein solches Kind zu wirken. Und Sie werden dann die Hoffnung haben können, daß diese starken Gefühle bei ihm auch das helle Erkennen erwecken werden, denn alles Schlafen hat dem Lebensrhythmus gemäß die Tendenz, nach einiger Zeit aufzuwachen. Wenn wir nun ein solches Kind, das träumerisch im Gefühlsleben dahinbrütet, mit starken Gefühlen angehen, dann werden diese in das Kind versetzten starken Gefühle nach einiger Zeit von selbst als Gedanken aufwachen.

Kinder, die noch mehr brüten, die sogar stumpf sind gegenüber dem Gefühlsleben, die werden Ihnen offenbaren, daß sie besonders im Willen stark veranlagt sind. Sie sehen da: wenn Sie dies bedenken, können Sie erkennend vor manchem Rätsel im kindlichen Leben stehen. Sie können ein Kind in die Schule hereinbekommen, das sich ausnimmt wie ein echter Stumpfling. Wenn Sie da gleich das Urteil fällen: Das ist ein schwachsinniges, ein stumpfsinniges Kind -, wenn Sie es mit experimenteller Psychologie untersuchen würden, schöne Gedächtnisprüfungen vornähmen und allerlei, was ja jetzt auch schon in psychologisch-pädagogischen Laboratorien gemacht wird und dann sagen würden: Stumpfes Kind seiner ganzen Anlage nach, gehört in die Schwachsinnigen-Schule oder auch in die jetzt beliebte Wenigerbefähigten-Schule, so würden Sie mit solchem Urteil nicht dem Wesen des Kindes nahekommen. Vielleicht aber ist dieses Kind besonders stark im Willen veranlagt, vielleicht ist es eines jener Kinder, die im späteren Leben aus ihrer Cholerik zu tatkräftigem Handeln übergehen. Aber der Wille schläft zunächst. Und wenn das denkende Erkennen bei diesem Kinde verurteilt ist, später erst hervorzutreten, dann muß es auch in der entsprechenden Weise behandelt werden, damit es dann später berufen sein kann, etwas Tatkräftiges zu vollbringen. Vorerst erscheint es als ein rechter Stumpfling, der ist es aber vielleicht gar nicht. Und man muß dann den Blick dafür haben, bei einem solchen Kinde den Willen zu erwek-ken; das heißt, man muß so in seinen wachen Schlafzustand hineinwirken, daß es nach und nach dahinkommt - weil ja jeder Schlaf die Tendenz hat, zum Erwachen zu kommen -, seinen Schlaf als Willen, der vielleicht sehr stark ist, der aber nur jetzt schläft, vom schlafenden Wesen übertönt wird, im späteren Lebensalter aufzuwecken. Ein solches Kind muß so behandelt werden, daß Sie möglichst wenig auf sein Erkenntnisvermögen, auf sein Begreifen bauen, sondern ihm gewissermaßen einhämmern einige recht stark auf den Willen wirkende Sachen, daß Sie es, indem es spricht, zu gleicher Zeit gehen lassen. Sie nehmen ein solches Kind, Sie werden ja nicht sehr viele davon haben, aus der Klasse heraus und - für die anderen Kinder wird es anregend sein, für dieses Kind ist es bildend - lassen es, indem es Sätze spricht, die Worte mit Bewegungen begleiten. Also: Der (Schritt) - Mensch (Schritt) -ist (Schritt) - gut! - Auf diese Weise verbinden Sie den ganzen Menschen im Willenselement mit dem bloß Intellektuellen im Erkennen, und Sie können es nach und nach dahin bringen, daß bei einem solchen Kinde der Wille zum Gedanken erwacht. Erst die Einsicht, daß man es im wachenden Menschen schon zu tun hat mit verschiedenen Bewußtseinszuständen - mit Wachen, Träumen und Schlafen -, erst diese Einsicht bringt uns zu einer wirklichen Erkenntnis unserer Aufgaben gegenüber dem werdenden Menschen.

Wir können aber jetzt etwas fragen. Wir können fragen: Wie verhält sich das eigentliche Zentrum des Menschen, das Ich, zu diesen verschiedenen Zuständen? Sie kommen am leichtesten dabei zurecht, wenn Sie zunächst, was ja unleugbar ist, voraussetzen: Was wir Welt, was wir Kosmos nennen, das ist eine Summe von Tätigkeiten. Für uns drücken sich diese Tätigkeiten aus auf den verschiedenen Gebieten des elementaren Lebens. Wir wissen, daß in diesem elementaren Leben Kräfte walten. Die Lebenskraft waltet zum Beispiel um uns herum. Und zwischen den elementaren Kräften und der Lebenskraft eingesponnen ist alles, was zum Beispiel die Wärme und das Feuer bewirkt. Denken Sie nur, wie sehr wir in einer Umgebung stehen, in der durch das Feuer sehr vieles bewirkt wird.

In gewissen Gegenden der Erde, zum Beispiel in Süditalien, brauchen Sie nur eine Papierkugel anzuzünden, und in demselben Augenblick fängt es an, aus der Erde heraus mächtig zu rauchen. Warum geschieht das? Es geschieht, weil Sie durch das Anzünden der Papierkugel und die sich dadurch entwickelnde Wärme die Luft an dieser Stelle verdünnen, und das, was sonst unter der Erdoberfläche an Kräften waltet, wird durch den nach aufwärts gerichteten Rauch nach oben gezogen, und in dem Augenblick, wo Sie die Papierkugel anzünden und auf die Erde werfen, stehen Sie in einer Rauchwolke. Das ist ein Experiment, das jeder Reisende machen kann, der in die Gegend von Neapel kommt. Das habe ich als ein Beispiel dafür angeführt, daß wir, wenn wir die Welt nicht oberflächlich betrachten, uns sagen müssen: Wir leben in einer Umgebung, die überall von Kräften durchzogen ist.

Nun gibt es auch höhere Kräfte als die Wärme. Die sind auch in unserer Umgebung. Durch sie gehen wir immer durch, indem wir als physische Menschen durch die Welt gehen. Ja, unser physischer Körper, ohne daß wir es im gewöhnlichen Erkennen wissen, ist so geartet, daß wir das vertragen. Mit unserem physischen Körper können wir so durch die Welt schreiten.

Mit unserem Ich, das die jüngste Bildung unserer Evolution ist, könnten wir nicht durch diese Weltenkräfte schreiten, wenn dieses Ich sich unmittelbar an diese Kräfte hingeben sollte. Dieses Ich könnte nicht an alles sich hingeben, was in seiner Umgebung ist und worin es selbst drinnen ist. Dieses Ich muß jetzt noch davor bewahrt werden, sich ergießen zu müssen in die Weltenkräfte. Es wird sich einmal dazu entwickeln, in die Weltenkräfte hinein aufgehen zu können. Jetzt kann es das noch nicht. Deshalb ist es notwendig, daß wir für das völlig wache Ich nicht versetzt werden in die wirkliche Welt, die in unserer Umgebung ist, sondern nur in das Bild der Welt. Daher haben wir in unserem denkenden Erkennen eben nur die Bilder der Welt, was wir vom seelischen Gesichtspunkte aus schon angeführt haben.

Jetzt betrachten wir es auch vom geistigen Gesichtspunkte aus. Im denkenden Erkennen leben wir in Bildern; und wir Menschen auf der gegenwärtigen Entwickelungsstufe innerhalb von Geburt und Tod können mit unserem vollwachenden Ich nur in Bildern von dem Kosmos leben, noch nicht in dem wirklichen Kosmos. Daher muß, wenn wir wachen, unser Leib uns zuerst die Bilder des Kosmos hervorbringen. Dann lebt unser Ich in den Bildern von diesem Kosmos.

Die Psychologen geben sich furchtbar viel Mühe, die Beziehungen zwischen Leib und Seele zu konstatieren. Sie reden von Wechselwirkung zwischen Leib und Seele, reden vom psycho-physischen Parallelismus und auch von anderen Dingen noch. Alle diese Dinge sind im Grunde genommen kindliche Begriffe. Denn der wirkliche Vorgang dabei ist der: Wenn das Ich des Morgens in den Wachzustand übergeht, so dringt es in den Leib ein, aber nicht in die physischen Vorgänge des Leibes, sondern in die Bilderwelt, die bis in sein tiefstes Inneres der Leib von den äußeren Vorgängen erzeugt. Dadurch wird dem Ich das denkende Erkennen übermittelt.

Beim Fühlen ist es anders. Da dringt schon das Ich in den wirklichen Leib ein, nicht bloß in die Bilder. Wenn es aber bei diesem Eindringen voll bewußt wäre, dann würde es - nehmen Sie das jetzt seelisch - buchstäblich seelisch verbrennen. Wenn Ihnen dasselbe passierte beim Fühlen, was Ihnen passiert beim Denken, indem Sie in die Bilder, die Ihnen Ihr Leib erzeugt, mit Ihrem Ich eindringen, dann würden Sie seelisch verbrennen. Sie würden es nicht aushallen. Sie können dieses Eindringen, welches das Fühlen bedeutet, nur träumend, im herabgedämpften Bewußtseinszustande erleben. Nur im Traume halten Sie das aus, was beim Fühlen in Ihrem Leib eigentlich vor sich geht.

Und was beim Wollen sich abspielt, das können Sie überhaupt nur erleben, indem Sie schlafen. Das wäre etwas ganz Schreckliches, was Sie erleben würden, wenn Sie im gewöhnlichen Leben alles miterleben müßten, was mit Ihrem Wollen vor sich geht. Der entsetzlichste Schmerz ergriffe Sie zum Beispiel, wenn Sie, was ich schon andeutete, wirklich erleben müßten, wie sich die durch die Nahrungsmittel dem Organismus zugeführten Kräfte beim Gehen verbrauchen in Ihren Beinen. Es ist schon Ihr Glück, daß Sie das nicht erleben beziehungsweise nur schlafend erleben. Denn wachend dies erleben, würde den denkbar größten Schmerz bedeuten, einen furchtbaren Schmerz. Man könnte sogar sagen: das Erwachen ins Wollen besteht darin, daß für den Menschen, insofern er ein wollender ist, der Schmerz, der nur latent bleibt, betäubt wird durch den Schlafzustand im Wollen.

Daher werden Sie verstehen, wenn ich Ihnen jetzt das Leben des Ich charakterisiere während dessen, was man im gewöhnlichen Leben Wachzustand nennt - was also umfaßt: voll Wachen, träumend Wachen, schlafend Wachen -, wenn ich charakterisiere, was das Ich, indem es im gewöhnlichen Wachzustande im Leibe lebt, eigentlich in Wirklichkeit durchlebt. Dieses Ich lebt im denkenden Erkennen, indem es aufwacht in den Leib; da ist es voll wach. Es lebt darin aber nur in Bildern, so daß der Mensch in seinem Leben zwischen Geburt und Tod, wenn er nicht solche Übungen macht, wie sie in meinen! Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» angedeutet sind, fortwährend nur in Bildern durch sein denkendes Erkennen lebt.

Dann senkt sich erwachend das Ich auch ein in die Vorgänge, die das Fühlen bedingen. Fühlend leben: da sind wir nicht voll wach, sondern da sind wir träumend wach. Wie erleben wir denn eigentlich das, was wir da im träumenden Wachzustande fühlend durchmachen? Das erleben wir tatsächlich in dem, was man immer genannt hat Inspirationen, inspirierte Vorstellungen, unbewußt inspirierte Vorstellungen. Da ist der Herd von alledem, was aus den Gefühlen beim Künstler hinaufsteigt in das wache Bewußtsein. Dort wird es zuerst durchgemacht. Dort wird auch alles das durchgemacht, was beim wachen Menschen oftmals als Einfalle hinaufsteigt ins Wachbewußtsein und dann zu Bildern wird.

Was in meinem Buche: «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» Inspirationen genannt wird, das ist nur das zur Helligkeit, zum Vollbewußtsein heraufgehobene Erleben desjenigen, was bei jedem Menschen unten im Gefühlsleben unbe-

fühlend Leben
träumend wach in unbewußten 
inspirierten Vorstellungen

denkend Erkennen

voll wach in Bildern


Ich

wollend Tun 
schlafend unbewußt in Intuitionen

wußt an Inspirationen vorhanden ist. Und wenn besonders veranlagte Leute von ihren Inspirationen sprechen, so sprechen sie eigentlich von dem, was die Welt in ihr Gefühlsleben hineingelegt hat und durch ihre Anlagen heraufkommen läßt in ihr volles Wachbewußtsein. Es ist das ebenso Weltinhalt, wie der Gedankeninhalt Weltinhalt ist. Aber in dem Leben zwischen Geburt und Tod spiegeln diese unbewußten Inspirationen solche Weltenvorgänge, die wir nur träumend erleben können; sonst würde unser Ich in diesen Vorgängen sich verbrennen, oder es würde ersticken, namentlich ersticken. Dieses Ersticken beginnt auch manchmal beim Menschen in abnormen Zuständen. Denken Sie nur einmal, Sie haben Alpdruck. Dann will ein Zustand, der sich abspielt zwischen Ihnen und der äußeren Luft, wenn bei einem Menschen in diesem Wechselverhältnis nicht alles in Ordnung ist, in abnormer Weise übergehen in etwas anderes. Indem das übergehen will in Ihr Ich-Bewußtsein, wird es Ihnen nicht als eine normale Vorstellung bewußt, sondern als eine Sie quälende Vorstellung: als der Alpdruck. Und so qualvoll wie das abnorme Atmen im Alpdruck, so qualvoll wäre das gesamte Atmen, wäre jeder Atemzug, wenn der Mensch das Atmen vollbewußt erleben würde. Er würde es fühlend erleben, aber qualvoll wäre es für ihn. Es wird daher abgestumpft, und so wird es nicht als physischer Vorgang, sondern nur in dem träumerischen Gefühl erlebt.

Und gar die Vorgänge, die sich beim Wollen abspielen, ich habe es Ihnen schon angedeutet: furchtbarer Schmerz wäre das! Daher können wir weiter sagen als drittes: Das Ich im wollenden Tun ist schlafend. Da wird das erlebt, was erlebt wird mit stark herabgedämpftem Bewußtsein - eben im schlafenden Bewußtsein - in unbewußten Intuitionen. Unbewußte Intuitionen hat der Mensch fortwährend; aber sie leben in seinem Wollen. Er schläft in seinem Wollen. Daher kann er sie auch nicht im gewöhnlichen Leben heraufholen. Sie kommen nur in Glückszuständen des Lebens herauf; dann erlebt der Mensch ganz dumpf die geistige Welt mit.

Nun ist etwas Eigentümliches beim gewöhnlichen Leben des Menschen vorhanden. Das Vollbewußtsein im vollen Wachen beim denkenden Erkennen, das kennen wir ja alle. Da sind wir sozusagen in der Helligkeit des Bewußtseins, darüber wissen wir Bescheid. Manchmal fangen dann die Menschen an, wenn sie über die Welt etwas nachdenken, zu sagen: Wir haben Intuitionen. Unbestimmt Gefühltes bringen die Menschen dann aus diesen Intuitionen heraus vor. Was sie da sagen, kann manchmal etwas sehr Verworrenes sein, aber es kann auch unbewußt geregelt sein. Und schließlich, wenn der Dichter von seinen Intuitionen spricht, so ist das durchaus richtig, daß er sie zunächst nicht herausholt aus dem Herd, wo sie ihm am nächsten liegen, aus den inspirierten Vorstellungen des Gefühlslebens, sondern er holt hervor seine ganz unbewußten Intuitionen aus der Region des schlafenden Wollens.

Wer in diese Dinge hineinsieht, der sieht selbst in scheinbaren Zufälligkeiten des Lebens tiefe Gesetzmäßigkeiten. Man liest zum Beispiel den zweiten Teil von Goethes «Faust», und man möchte sich ganz gründlich davon unterrichten, wie gerade diese merkwürdigen Verse in ihrem Bau hervorgebracht werden konnten. Goethe war schon alt, als er den zweiten Teil seines «Faust» schrieb, wenigstens den größten Teil davon. Er schrieb ihn so, daß John, sein Sekretär, am Schreibtische saß und das schrieb, was Goethe diktierte. Hätte Goethe selber schreiben müssen, so hätte er wahrscheinlich nicht so merkwürdig ziselierte Verse für den zweiten Teil seines «Faust» hervorgebracht. Goethe ging, während er diktierte, in seiner kleinen Weimarer Stube fortwährend auf und ab, und dieses Auf- und Abgehen gehört mit zur Konzeption des zweiten Teiles des «Faust». Indem Goethe dieses unbewußte wollende Tun im Gehen entwickelte, drängte aus seinen Intuitionen etwas herauf, und in seiner äußeren Tätigkeit offenbarte sich dann dasjenige, was er durch einen anderen auf das Papier schreiben ließ.

Wenn Sie sich ein Schema machen wollen von dem Leben des Ich im Leibe, und Sie machen es sich in der folgenden Weise:

I. wachend - bildhaftes Erkennen 
II. träumend - inspiriertes Fühlen 
III. schlafend - intuitierendes oder intuitiertes Wollen

dann werden Sie sich nicht recht begreiflich machen können, warum das Intuitive, von dem die Menschen instinktiv sprechen, leichter heraufkomme ins bildhafte Erkennen des Alltags als das näherliegende inspirierte Fühlen. Wenn Sie sich nun das Schema jetzt richtig zeichnen - denn hier oben ist es falsch gezeichnet -, wenn Sie es in der Weise machen, wie in der Zeichnung, dann werden Sie die Sache leichter begreifen. Denn dann werden Sie sich sagen: In der Richtung des Pfeils (1) steigt das bildhafte Erkennen hinunter in die Inspirationen, und es kommt wieder herauf aus den Intuitionen (Pfeil 2). Aber dieses Erkennen, das mit dem Pfeil l angedeutet ist, ist das Hinuntersteigen in den Leib. Und jetzt betrachten Sie sich; Sie sind zunächst ganz ruhig, sitzend oder stehend, geben sich nur dem denkenden Erkennen hin, der Betrachtung der Außenwelt. Da leben Sie im Bilde. Was sonst das Ich erlebt an den Vorgängen, steigt hinunter in den Leib, erst ins Fühlen, dann ins

Wollen. Was im Fühlen ist, beachten Sie nicht, was im Wollen ist, beachten Sie zunächst auch nicht. Nur wenn Sie anfangen zu gehen, wenn Sie anfangen zu handeln, dann betrachten Sie äußerlich-nicht zuerst das Fühlen, sondern das Wollen. Und da, beim Hinuntersteigen in den Leib und beim Wiederheraufsteigen, was in der Richtung des Pfeiles 2 vor sich geht, da hat das intuitive Wollen es näher, zum bildhaften Bewußtsein zu kommen als das träumende inspirierte Fühlen. Daher werden Sie finden, daß die Menschen so oft sagen: Ich habe eine unbestimmte Intuition. - Da wird dann das, was in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» Intuitionen genannt wird, mit der oberflächlichen Intuition des gewöhnlichen Bewußtsein verwechselt.

Jetzt werden Sie etwas begreifen von der Gestalt des menschlichen Leibes. Denken Sie sich jetzt einmal einen Augenblick gehend, aber die Welt betrachtend. Denken Sie sich: Nicht Ihr Unterleib müßte mit den Beinen gehen, sondern Ihr Kopf würde direkt die Beine haben und müßte gehen. Da würde in eins verwoben sein Ihr Weltbetrachten und Ihr Wollen, und die Folge wäre, daß Sie nur schlafend gehen könnten. Indem Ihr Kopf aufgesetzt ist auf die Schultern und auf den übrigen Leib, ruht er auf dem übrigen Leibe. Er ruht, und Sie tragen Ihren Kopf, indem Sie sich nur mit dem anderen Leib bewegen. Der Kopf muß aber auf dem Leibe ruhen können, sonst könnte er nicht das Organ des denkenden Erkennens sein. Er muß dem schlafenden Wollen entzogen werden, denn in dem Augenblick, wo Sie ihn in die Bewegung überführen, wo Sie ihn aus der relativen Ruhe in eine selbstgemachte Bewegung überführen würden, da würde er zum Schlafen kommen. Das eigentliche Wollen läßt er den Leib vollziehen, und er lebt in diesem Leibe drinnen wie in einer Kutsche und läßt sich von diesem Wagen weiterbefördern. Nur dadurch, daß sich der Kopf wie in einer Kutsche von dem Wagen des Leibes weiterbefördern läßt und während dieses Weiterbeförderns, während dieses Rubens handelt, ist der Mensch wachend handelnd. Nur wenn Sie die Dinge so zusammenhalten, kommen Sie auch zu einem wirklichen Begreifen der Gestalt des menschlichen Leibes.

 

1. Auflage, Dornach 1932

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