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Rudolf Steiner

WEIHNACHTEN - EIN INSPIRATIONSFEST 

Berlin, 21. Dezember 1911

 

Innerhalb unseres Arbeitens in der geisteswissenschaftlichen Bewegung blicken wir vorwärts, vorwärts in die Zukunft der Menschheit, und durchdringen unsere Seelen und unsere Herzen mit demjenigen, wovon wir glauben, daß es sich einverleiben soll in die Entwickelungsströmungen und in die Entwickelungskräfte der Menschenzukunft. Und auch wenn wir zu den großen Wahrheiten des Daseins aufblicken, aufblicken zu den Kräften, Mächten und Wesen, welche sich uns in der spirituellen Welt als die Ursachen und Urgründe dessen offenbaren, was uns in der äußeren Sinneswelt entgegentritt, auch da sind wir beseelt davon, daß die Wahrheiten, die wir also aus den geistigen Welten herunterholen, allmählich sich einleben sollen und einleben müssen in die Seelen, in die Herzen der Menschen der Zukunft.

So ist denn im größten Teil des Jahres unser geistiger Blick entweder der unmittelbaren Gegenwart oder aber der Zukunft zugewendet. Um so mehr fühlen wir uns gedrungen, an den Merktagen des Jahres, an den Festen, welche wie fixierte Erinnerungen an das, was die Vormenschheit erdacht und ersonnen hat, aus der Zeit und ihrem Wandel zu uns hereinragen, unsere Verbindung mit dieser Vormenschheit zu empfinden, ein wenig uns zu versenken in dasjenige, was aus den Seelen, aus den Herzen der Menschen der Vergangenheit dazu geführt hat, jene Merkzeichen in den Lauf der Zeiten hineinzustellen, welche uns als die Feste des Jahres erscheinen.

Ist das Osterfest ein solches, das, wenn wir es verstehen, in uns Gedanken wachruft an menschliche Kräfte und an Überwindungsfähigkeit alles Niederen durch das Höhere, alles äußerlich Physischen durch das Geistige, ist es ein Fest der Auferstehung, der Erweckung, ein Fest der Hoffnung und der Zuversicht an die geistigen Kräfte, die in der Menschenseele erweckt werden können, so ist auf der anderen Seite das Weihnachtsfest ein Fest der Harmonieempfindung mit dem ganzen Kosmos, ein Fest der Gnadenempfindung, ein Fest, das uns immer wieder und wieder den Gedanken nahebringen kann: Wie sich auch alles um uns herum erweisen mag, wie auch in den Glauben sich die herbsten Zweifel hineinmischen können, wie sich auch in die kühnsten Hoffnungen die schlimmsten Enttäuschungen hineinmischen können, wie auch um uns herum alle guten Dinge des Lebens wanken können -es gibt etwas in der menschlichen Natur und Wesenheit, das kann uns der richtig verstandene Gedanke des Weihnachtsfestes sagen, das nur vor die Seele lebendig, geisthaft hingestellt zu werden braucht, um uns immerwährend zu offenbaren, daß wir von den Kräften des Guten abstammen, von den Kräften des Rechten, von den Kräften des Wahren. - Auf unsere siegenden Kräfte in die Zukunft hin weist uns der Ostergedanke. Auf den Menschenursprung in urferner Vergangenheit weist uns in einer gewissen Beziehung demnach der Weihnachtsgedanke.

Bei einer solchen Gelegenheit kann man so recht sehen, wie die unbewußte oder die unterbewußte Vernunft und Geistigkeit der Menschen weit, weit höher steht als das, was der Mensch mit seinem Bewußtsein dann umschließen kann. Wir haben oftmals Grund, dasjenige, was die Menschen aus den verborgenen Seelentiefen in der Vergangenheit festgesetzt haben, viel mehr zu bewundern als das, was sie festsetzten aus ihren verstandesmäßigen Gedanken und aus dem, was sie begrifflich erfassen konnten. Wie unendlich weise erscheint es uns, wenn wir den Kalender aufmachen und für den 25. Dezember verzeichnet finden das Geburtsfest des Christus Jesus und dann im Kalender verzeichnet sehen für den 24. Dezember «Adam und Eva». Man möchte sagen: Anschaulich, vernünftig, geistig konnte einem das vor Augen treten aus dem dumpfen, unterbewußten Schaffen im Mittelalter, wenn da oder dort gegen die Weihnachtszeit die mittelalterlichen Weihnachtsspiele von Leuten dieser oder jener Orte aufgeführt werden sollten. Wenn, wie man sie nannte, die «Singer» zu ihren Weihnachtsspielen zogen, da wurde vorangetragen der «Paradiesbaum». Wie im Kalender «Adam und Eva» vor dem Christ-Geburtstagsfest erschien, so erschien in den mittelalterlichen Weihnachtsspielen der Baum des Paradieses vorangetragen der Truppe, welche zur Aufführung dieser Weihnachtsspiele schritt. Kurz also, es gab einmal etwas, was die tiefen, verborgenen Seelenuntergründe der Menschen veranlaßte, irdischen Menschenanfang und Jesu-Geburtsfest unmittelbar zusammenzustellen.

Im Jahre 353 gab es selbst im kirchlichen Rom noch nicht den 25. Dezember als Jesu-Geburtstagsfest. Denn 354 wurde zum ersten Male auch im kirchlichen Rom das Jesu-Geburtstagsfest am 25. Dezember gefeiert. Vorher wurde etwas gefeiert, bei dem man ein ähnliches Bewußtsein hatte wie später an dem Jesu-Geburtstagsfest, nämlich der 6. Januar als der Tag der Erinnerung der Johannestaufe im Jordan, als der Tag, welcher der Gedenktag war des Herunterkommens des Christus aus den spirituellen Höhen und des Sich-Versenkens des Christus in den Leib des Jesus von Nazareth. Das war ursprünglich die Geburt des Christus in dem Jesus, die Erinnerung an den großen geschichtlichen Augenblick, der uns symbolisch dargestellt wird durch das Weilen der Taube über dem Haupt des Jesus von Nazareth. Der 6. Januar war der Erinnerungstag an die Geburt des Christus in dem Jesus von Nazareth.

Aber im 4. Jahrhundert war eigentlich für die sich ankündigende materialistische Weltanschauung des Abendlandes längst die Möglichkeit dahin, den großen Gedanken der Durchdringung des Jesus mit dem Christus zu verstehen. Wie ein gewaltiges Licht war zu kurzer Aufklärung dieser Gedanke vorhanden bei den Gnostikern, die in gewisser Beziehung Zeitgenossen oder unmittelbare Nachfolger des Ereignisses von Golgatha waren und in der Lage waren, daß sie die Tiefe dieser Weisheit von dem «Christus in dem Jesus» nicht in der Weise suchen mußten, wie wir durch das moderne Hellsehen diese Weisheit wieder suchen müssen, sondern bei den Gnostikern war es so, daß sie durch das letzte Aufflackern gerade alter, ursprünglicher menschlicher hellseherischer Kräfte das wie im Gnadenlichte geschaut haben, was wir uns wieder erobern müssen über die großen Geheimnisse von Golgatha. Da leuchtete so manches bei den Gnostikern auf, was wir uns wieder erobern müssen, so zum Beispiel besonders das Geheimnis von dem Geborenwerden des Christus in dem Jesus von Nazareth bei der Johannestaufe im Jordan.

Aber wie das alte Hellsehen überhaupt, so schwand auch für die Menschheit jenes eigentümliche Aufflammen höchster hellseherischer Kräfte, höchsten Weihnachtslichtes der Menschheit dahin, wie es bei den Gnostikern vorhanden war. Und im 4. Jahrhundert war das abendländische Christentum längst nicht mehr imstande, diesen großen Gedanken zu verstehen. Daher hatte im 4. Jahrhundert das eigentliche Erscheinungsfest des Christus in dem Jesus den Sinn für die abendländische christliche Kultur verloren. Man hatte vergessen, was eigentlich dieses Erscheinungsfest, der 6. Januar, bedeutet. Man mußte für eine Zeitlang, ja bis in unsere Gegenwart herein, unter mancherlei materialistischem Verstandesschutt die Empfindung gegenüber der Christus-Gestalt in der Menschheitsentwickelung begraben. Und konnte man nicht begreifen, daß ein gegenüber der Menschheit Höchstes sich offenbart hat in der Johannestaufe im Jordan, so konnte man doch, weil das dem materialistischen Bewußtsein nicht widersprach, noch begreifen, daß jene Leibesorganisation, welche dazu ausersehen war, den Christus aufzunehmen, etwas Bedeutsames war. Daher rückte man die Geistgeburt, die eigentlich in der Johannestaufe im Jordan zutage trat, zurück zu der Kindesgeburt des Jesus von Nazareth und setzte das Jesu-Geburtsfest an die Stelle des Erscheinungsfestes.

Aber wenn man das auch in den wenigsten Fällen klar aussprechen mochte, so lebten doch immer bedeutsame Empfindungen, hohe erhabene Empfindungen in dem, was das Weihnachtsfest der Menschheit wurde. Es lebte etwas Bedeutendes immer in der menschlichen Seele auf, wenn das Weihnachtsfest herannahte. Es lebte das auf, was man nennen möchte: Der Mensch kann, wenn er im richtigen Sinne die Welt beschaut, sich doch gegenüber gewissen Dingen, gegenüber allen Fährlichkeiten und Schicksalsschlägen des Daseins beleben in dem Glauben an die Menschheit, der Mensch kann sich beleben in tiefster Seele an dem Gefühl von Liebe und Frieden gegenüber aller Disharmonie und allem Streit des Lebens.

Das ist etwas, was in Anknüpfung an das Weihnachtsfest, an das Jesu-Geburtsfest immerdar aufdämmert. Denn was war es denn eigentlich, woran man sich erinnerte? Fassen wir das, woran man sich erinnerte, in geisteswissenschaftlichem Sinne auf. Wir wissen, welche bedeutsamen, großen und gewaltigen Veranstaltungen die Menschheitsentwickelung machen mußte, damit das Mysterium von Golgatha in diese Menschheitsentwickelung hereinbrechen konnte. Da mußte geboren werden ein Mensch, welcher der wiederverkörperte Zarathustra war, der eine der beiden Jesusknaben. Es mußte aber noch derjenige geboren werden, für den das eigentliche Jesu-Geburtsfest das Erinnerungsfest war, es mußte der geboren werden, der seiner Seelensubstanz nach zurückgeblieben war in den geistigen Welten. Solange die Menschheit das alles durchgemacht hat, was sich innerhalb der Vererbung durch die Generationen durchmachen ließ bis zum Mysterium von Golgatha - alle anderen Menschenseelen waren durch die Generationen gegangen -, so lange hatte man alles das aufgenommen, was sich an zerstörenden Kräften bis in das Blut hineingeschlichen hat. Nur eine einzige Seelensubstanz war in den spirituellen Welten zurückgeblieben, gehütet von den reinsten Mysterien und den reinsten Kultstätten, war dann ausgegossen worden in die Menschheit als Seele des zweiten Jesusknaben, desjenigen, den das Lukas-Evangelium schildert, jenes Jesusknaben, an dessen Geburt namentlich alle Erinnerungen und alle Darstellungen des Christfestes, des Weihnachtsfestes anknüpfen.

Zum Menschenursprung hinauf, zur Menschenseele, als diese noch nicht heruntergestiegen war, selbst noch nicht heruntergestiegen war in Adams Natur, erinnerte sich der Mensch zur Weihnachtszeit. Er wollte sagen, daß in Bethlehem, in Palästina, jene Seelensubstanz geboren wurde, die nicht mit teilgenommen hat an dem Abstieg der Menschheit, sondern zurückgeblieben war und zum ersten Male eigentlich in einen Menschenleib einzog, indem sie in den Lukas-Jesusknaben verkörpert wurde.

Man kann an die Menschheit glauben, man kann zur Menschheit Vertrauen haben, so kann die Menschenseele empfinden, wenn ihr Gedanke sich hinlenken darf zu der Tatsache: Wie auch Streit, wie auch Unglaube, wie auch Disharmonie Platz gegriffen haben innerhalb der Menschheitsentwickelung - und sie haben Platz gegriffen durch alles, was sich in die Menschheit hineinergossen hat von Adams Zeit bis in unsere Gegenwart -, blickt man zurück auf das, was die alten Zeiten «Adam Kadmon» genannt haben, was dann zum Christus-Begriff geworden ist, dann entflammt sich in der Menschenseele Vertrauen zur Richtigkeit der Menschenkraft, entflammt sich das Vertrauen in die ursprüngliche Friedens- und Liebesnatur der Menschheit. Daher rückte das unterbewußte Seelische das Jesu-Geburtsfest unmittelbar zusammen mit dem Adam-und-Eva-Fest, indem der Mensch eigentlich in dem Christkindlein, das geboren wird, seine eigene Natur sieht, aber seine eigene Natur in ihrer Unschuld, in ihrer Unverdorbenheit.

Warum wurde denn das göttliche Kind durch Jahrhunderte, durch Jahrtausende vor die Menschheit hingestellt als das, was es als am höchsten zu Verehrendes für die Menschenseele gibt? Aus dem Grunde, weil der Mensch, hinblickend zu dem Kinde - dann, wenn dieses Kind noch nicht so weit gekommen ist, daß es zu sich «Ich» sagen kann -, schauen kann, wissen kann, daß es noch an dem menschlichen Leib arbeitet, an dem Tempel des ewig Göttlichen, und weil der Mensch, der noch nicht «Ich» sagt, noch deutlich das Zeichen seines Ursprunges aus der spirituellen Welt zeigt. Durch diesen Hinblick auf des Menschen Kindesnatur lernt der Mensch volles Vertrauen haben zur Menschennatur. Da, wo der Mensch sich am meisten sammeln kann, wo die Sonne am wenigsten leuchtet und den Erdball wärmt, wo der Mensch nicht mit der Bestellung der äußeren Angelegenheiten beschäftigt ist, da, wo die Tage am kürzesten, die Nächte am längsten sind, wo alle Gelegenheit auf der Erde so ist, daß sich der Mensch am besten sammeln kann, am besten in sich selber gehen kann, da, wo sich ihm aller äußere Glanz, alle äußere Schönheit für eine Weile dem äußeren Blick entzieht, da stellte die abendländische Kulturentwickelung das Geburtsfest des göttlichen Kindes hin, das heißt des Menschen, der unverdorben die Welt betritt, und durch das unverdorbene Betreten der Welt dem Menschen in der Zeit seiner intensivsten Sammlung das stärkste, das höchste Vertrauen durch das Bewußtsein seines göttlichen Ursprunges geben kann.

Es ist wie eine Bekräftigung der großen Wahrheit, daß man vom Kinde viel lernen kann, wenn man sieht, daß eines Kindes Geburtstagsfest als ein großes, bedeutsames Vertrauensfest für die Menschheitsentwickelung hineingestellt ist in der Zeiten Lauf. Und so bewundern wir die unterbewußte, die spirituelle Vernunft der Menschen der Vorzeit, die solche Marksteine hineingestellt haben in der Zeiten Lauf. Wir fühlen uns dann wie Entzifferer von merkwürdigen Hieroglyphen, die gegeben sind durch das Hineinstellen solcher Feste in die Schrift der Zeiten durch die Menschen der Vorzeit, fühlen uns eins mit diesen Menschen der Vorzeit. Während sonst unser Blick der Zukunft zugewendet ist, während wir sonst willig sind, unsere besten Kräfte der Zukunft zur Verfügung zu stellen, allen Glauben an die Zukunft zu kräftigen und zu stärken, versuchen wir gerade an solchen Festtagen in Erinnerungen zu leben, die alte Gedanken wie verkörpert zu uns herübertragen, die uns lehren, daß wir zwar gegenwärtig nur in unserer Art denken können, was der äußeren Welt im Spirituellen zugrunde liegt, daß aber noch in der Vorzeit - in anderer Art zwar, aber nicht minder richtig, nicht minder grandios und bedeutend - das Wahre, das Erhabene gedacht und empfunden worden ist durch das Sich-Einsfühlen mit der Menschheit, mit allem, was die Menschheit zu ihren Höhen tragen soll. Das ist unser geisteswissenschaftliches Ideal, daß man sich eins fühlen kann mit dem, was die Menschheit der Vorzeit geschaffen hat, manchmal aus den verborgensten Seelentiefen herauf. Dafür sorgen die Feste, sorgen insbesondere die großen Feste, wenn wir nur ihre in der Zeiten Schrift hineingezeichnete hieroglyphische Zeichenbedeutung uns durch die Wahrheiten der Geistesforschung vor die Seele malen können.

Oh, es ist ein wunderbarer Gedanke, der wie mit einer wunderbaren Empfindung in unserer Seele sich vermählt, wenn wir sehen, wie in jenen Jahrhunderten, die auf das vierte folgten, welches das Jesu-Geburtstagsfest zuerst auf den 25. Dezember verlegt hat, sich hineingießt in die Seele jener Menschen gerade das Bewußtsein von dem durch die kindliche Natur zu erweckenden Vertrauen, indem in der Malerei, in den Weihnachtsspielen, allüberall sich zeigt, wie vor dem Jesuskinde, vor dem göttlichen Kinde, vor dem göttlichen Ursprung des Menschen sich beugen die Wesen aller Erdenreiche. Es tritt uns entgegen das wunderbare Krippenbild, wie sich die Tiere neigen vor dem Ursprungsmenschen; es gliedern sich daran jene wunderbaren Erzählungen wie etwa diese, daß, als Maria das Jesuskind auf der Reise nach Ägypten getragen hat und die Grenze überschritten worden war, sich ein Baum gebeugt hat, ein uralter Baum vor Maria mit dem Jesusknaben. Daß sich in einer merkwürdigen Weise in der Weihnachtsnacht die Bäume dem großen Ereignis beugen, tritt uns sagenhaft entgegen in den Legenden fast ganz Europas. Wir könnten nach Elsaß, nach Bayern gehen, überall treten uns die Legenden entgegen, wie gewisse Bäume Früchte tragen in der Weihnacht, wie sie sich neigen in der Weihnacht: alles wunderbare Symbole, die ankündigen sollen, wie sich tatsächlich die Geburt des Jesuskindes offenbart als etwas, das mit dem ganzen Leben der Erde zusammenhängt.

Und wenn wir uns an das erinnern, was wir so oft gesagt haben: Wie die uralten spirituellen Strömungen von den Göttern der Menschheit gegeben waren, und wie die Menschen in den Urzeiten hellseherische Einblicke in die göttlich-geistige Welt hatten, wie dieses Hellsehen allmählich schwand, damit die Menschen zur Eroberung des Ich kommen konnten -, wenn man sich vorstellt, wie da in der ganzen menschlichen Organisation etwas vor sich geht wie ein Abdorren, wie ein Dürrwerden der alten Gotteskräfte, und wie ein Durchsetzen der dürren Gotteskräfte mit neuem Lebenswasser durch den Christus-Impuls, durch welchen sich dasjenige vollzieht, was durch das Mysterium von Golgatha geschah: dann erscheint uns dies in einem wunderbaren Bilde, wenn uns die Weihnachtslegenden erzählen, wie die verdorrten und vertrockneten Rosen von Jericho in der Weihenacht von selbst immer aufsprießen. Das war eine Legende, die wir überall im Mittelalter verzeichnet finden, daß die Rosen von Jericho in der Christnacht aufsprießen und sich entfalten, weil sie sich zuerst entfaltet hatten unter den Schritten der Maria, die, als sie auf der Reise nach Ägypten den Jesusknaben trug, über eine Stelle geschritten ist, wo ein Rosenstrauch gewachsen war. Ein wunderbares Symbol für das, was mit den menschlich-göttlichen Kräften geschah, daß selbst so dürre, so leblose Dinge wie Rosen, die man verdorrt am Wege finden kann, die scheinbar tot sind, wieder aufquellen, wieder aufsprießen durch den Christus-Impuls, der eintritt in die Zeitenentwickelung.

Daß dem Menschen so erst gegeben war in Wirklichkeit, was ihm von Ursprung an zugedacht war, das drückt sich aus in dem Jesu-Geburtsfest, in dem Fest der Geburt des Jesuskindleins. Ehe Adam und Eva waren, war zugedacht der Menschheit - so will man sagen in der Weihnachtslegende - dasjenige, was noch in der ganz unverdorbenen göttlichen Kindesnatur des Menschen liegt. Aber in Wahrheit - wegen des Einflusses Luzifers - hat es die Menschheit erst erlangen können, nachdem der ganze Zeitenverlauf sich abgespielt hatte von Adam und Eva bis zum Mysterium von Golgatha.

Oh, man muß sagen, es erweckt tatsächlich eine tiefe Empfindung in unserer Seele, wenn wir, wie zusammengedrängt, in die eine Nacht vom 24. zum 25. Dezember für unser Nachdenken, für unser Nachempfinden das haben, was die Menschheit durch die luziferischen Kräfte geworden ist von Adam und Eva bis zur Geburt des Christus in dem Jesus. Wenn wir das empfinden, dann empfinden wir schon genug die Bedeutung dieses Festes und empfinden dann auch, was man damit-vor die Menschheit hinstellen konnte.

Es ist, wie wenn die Menschheit, wenn sie die Gelegenheit benützt, diese Marksteine der Zeit als Meditationsstoffe zu nehmen, wirklich einmal gewahr werden kann ihres reinen Ursprunges in den kosmischen Kräften des Universums. Da den Blick hinaufhebend in die kosmischen Kräfte des Universums und ein wenig eindringend durch Theosophia, durch wirkliche spirituelle Weisheit in die Geheimnisse des Universums -, da kann die Menschheit erst wieder reif werden, das zu begreifen, daß eine höhere Stufe des Geburtsfestes des Jesus das ist, was als Christgeburtsfest einmal begriffen worden ist durch die Gnostiker, das Christgeburtsfest, das am 6. Januar eigentlich gefeiert sein sollte, das Fest der Geburt des Christus in dem Leibe des Jesus von Nazareth. Aber, wie um sich vertiefen zu können in die zwölf universellen Kräfte des Kosmos, stehen die zwölf heiligen Nächte da zwischen dem Christfest und dem Fest, das am 6. Januar gefeiert sein sollte, das jetzt das Fest der Heiligen Drei Könige ist, und das eigentlich das charakterisierte Fest ist.

Wieder, ohne daß man es so recht gewußt hat in der bisherigen Wissenschaft, stehen sie da, diese zwölf heiligen Nächte, wie aus den verborgenen weisen Seelentiefen der Menschheit festgesetzt, wie wenn sie sagen wollten: Empfindet alle Tiefe des Christfestes, aber versenkt euch dann während der zwölf heiligen Nächte in die heiligsten Geheimnisse des Kosmos! - Das heißt in das Land des Universums, aus dem der Christus heruntergezogen ist auf die Erde. Denn nur, wenn die Menschheit den Willen haben wird, sich inspirieren zu lassen durch den Gedanken an den heiligen kindlichen Gottesursprung des Menschen, sich inspirieren zu lassen von jener Weisheit, welche in die zwölf Kräfte, in die zwölf heiligen Kräfte des Universums dringt, die symbolisch dargestellt sind in den zwölf Zeichen des Tierkreises, die sich aber nur in Wahrheit darstellen durch die spirituelle Weisheit - nur, wenn die Menschheit sich vertieft in die wahre spirituelle Weisheit und der Zeiten Lauf erkennen lernt im großen Weltenall und im einzelnen Menschen, nur dann wird zu ihrem eigenen Heile die Menschheit der Zukunft, durch Geisteswissenschaft befruchtet, die Inspiration finden, die da kommen kann von dem Jesu-Geburtsfest zum Eindringen in die zuversichtlichsten, hoffnungsreichsten Zukunftsgedanken.

So dürfen wir das Weihnachtsfest auf unsere Seele wirken lassen als ein Inspirationsfest, als ein Fest, das uns den Gedanken des Menschenursprungs in dem heiligen göttlichen Menschenursprungskind so wunderbar vor die Seele führt. Jenes Licht, das in der heiligen Nacht, als Symbol des Menschenlichtes, an seinem Ursprung selber uns erscheint, jenes Licht, das uns in den neueren Zeiten die Lichter des Weihnachtsbaumes symbolisieren: es ist zugleich, richtig verstanden, das Licht, das uns die besten, stärksten Kräfte für unsere nach dem wahren, echten Weltenfrieden, nach der wahren, echten Weltenbeseligung, nach der wahren, echten Weltenhoffnung strebenden Seele geben kann.

Fühlen wir uns durch solche Gedanken an die Taten der Vergangenheit, an die Festsetzungen der Vergangenheit, gekräftigt durch das, was wir immer brauchen an Impulsen für die Zukunft: Weihnachtsgedanken, Erinnerungsgedanken an der Menschheit Ursprung, Gedanken, zugleich wurzelhaft, um sich zu entfalten zur echten, zur kräftigsten Seelenpflanze, zur echten Menschenzukunft.

 

Erstveröffentlichung Berlin 1913
GA 127 (1989), S 215 ff.

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