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DIE WISSENSCHAFTLICHKEIT DER ANTHROPOSOPHIE

Das Goetheanum, 19. Februar 1922

Rudolf Steiner

Daß der wissenschaftliche Materialismus überwunden werden müsse, ist seit Jahrzehnten schon die Überzeugung vieler Menschen geworden. Wenn in dieser Richtung Meinungen ausgesprochen werden, dann hat man die Denkungsart im Sinne, welche im neunzehnten Jahrhunderte in weiten Kreisen von wahrer Wissenschaftlichkeit für untrennbar gehalten worden ist. Diese Denkungsart hielt es für unwissenschaftlich, von Geist und Seele als von Wesenheiten zu sprechen, die selbständig, unabhängig von ihren materiellen Bedingungen betrachtet werden dürfen. Man fühlte sich auf wissenschaftlichem Boden nur sicher, wenn man auf materielle Vorgänge blicken konnte. Geist und Seele sah man im Gefolge der materiellen Vorgänge sich entwickeln; und man glaubte, für die Wissenschaft das einzig Mögliche getan zu haben, wenn man auf Materielles deutete, das sich abspielt, während Geistiges oder Seelisches erscheint.

Besonnene Menschen hat es immer gegeben, welche mit einer solchen Denkungsart nicht auch eine Erkenntnis des Geistes und der Seele zu erreichen glaubten. Aber viele meinten eben, der Wissenschaft als solcher könnte nicht zugestanden werden, von etwas anderem zu reden als von den materiellen Bedingungen des Geistigen und Seelischen. Durch diese Ideenrichtung glitt die Seelenwissenschaft in eine bloße Auseinandersetzung der Vorgänge im Nervensystem hinein. Man kam dazu, das auf sinnliche Art zu Beobachtende überall da zugrunde zu legen, wo man Erkenntnisse über das Seelische erreichen wollte.

Heute finden viele, daß mit dieser Art der Betrachtung das Seelische für die menschliche Anschauung verloren geht. Man fühlt, daß man in der Betrachtung des Nervenlebens nur Materielles vor sich hat, und daß dieses Materielle keine Auskunft geben kann in den Fragen, welche Geist und Seele über sich selbst stellen müssen.

Es gibt heute ernst zu nehmende wissenschaftliche Denker, welche aus solchen Gefühlen heraus die materialistische Betrachtung verlassen und zu der Überzeugung kommen, im Materiellen müsse ein Geistiges als wirksam gedacht werden. In der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts betrachtete man es als einen großen wissenschaftlichen Fortschritt, daß die alte Anschauung von der «Lebenskraft» überwunden sei. Diese Anschauung sah in den Lebensvorgängen eine besondere Kraft wirksam, welche das physisch und chemisch Tätige in einer solchen Art in ihr Bereich zieht, daß Lebendiges erscheinen kann. Man verwarf diese Anschauung. Das Physische und Chemische sollte in seinem eigenen Wesen so beschaffen sein, daß es in seinen komplizierten Gestaltungen als Leben sich offenbaren könne. Man hoffte, sich allmählich von diesen komplizierten Gestaltungen deutliche Vorstellungen machen zu können. In diesen Hoffnungen finden sich heute diejenigen Denker getäuscht, die wieder davon sprechen, daß etwas Besonderes dem Leben zugrunde liegen müsse, das Physisches und Chemisches zu einer höheren Wirksamkeit in seinen Dienst nimmt. Neue Hoffnungen knüpfen sich an dasjenige, was in dieser Richtung unternommen wird. Der Unbefangene muß aber dagegen die Gründe stellen, welche im neunzehnten Jahrhundert zur Überwindung der damaligen Anschauung von der «Lebenskraft » geführt haben. Man sagte sich da: Die Denkweise, welche in Klarheit die Zusammenhänge im physischen und chemischen Gebiet überschauen läßt, verliert sich in das Unklare, Nebelhafte, wenn sie von «Lebenskraft» spricht. Man erkannte, daß man auf dieselbe Art, wie man zu diesen Zusammenhängen geführt wird, nicht zu der « mystischen » Lebenskraft geführt werden könne.

Was man so erkannte, war durchaus berechtigt. Und wenn erst auf derjenigen Seite, auf der man heute in dem angedeuteten Sinne sich neuen Hoffnungen hingibt, die volle Klarheit wieder herrschen wird, muß sich derselbe Gedankengang einstellen, der im neunzehnten Jahrhundert zum Verwerfen der « Lebenskraft» geführt hat.

Eine Gesundung in dieser Richtung ist allein möglich, wenn man durchschaut, wie die Denkungsart, die für das Physische und Chemische ihre volle Berechtigung hat, umgewandelt werden müsse, wenn man in die Betrachtung der Lebens-, Seelen- und Geistesgebiete heraufrückt. Der Mensch muß erst sein Denken umgestalten, wenn er sich die Berechtigung erwerben will, über diese Gebiete wissenschaftlich zu sprechen.

Auf diesen Boden stellt sich die Anthroposophie. Sie fühlt sich daher nicht genötigt, das Wissenschaftsgebäude der Physik und Chemie zu zerschlagen, um mit denselben Denkmitteln anderes aufzubauen. Sie findet, daß man mit diesem Wissenschaftsgebäude etwas Sicheres erreicht habe, daß man aber innerhalb desselben Leben, Seele und Geist nicht suchen solle.

Dann aber, so sagen diejenigen, welche Anthroposophie nur von außen beurteilen wollen, stellt sich diese außerhalb der Wissenschaft und dürfe für sich höchstens eine Glaubensgewißheit in Anspruch nehmen.

Wer so spricht, der wendet nicht in kraftvoller Art den Blick von der Naturbetrachtung auf den Menschen zurück. Die Art, wie man in der Gegenwart das Physische und Chemische betrachtet, beruht auf einer gewissen Verfassung der Seele des Menschen. Und die wissenschaftliche Gewißheit hat man da nicht als etwas von der Natur Geoffenbartes, sondern als ein inneres Erlebnis des Betrachtens. Was man seelisch erlebt, indem man die Natur betrachtet, gibt die Gewißheit. Anthroposophische Erkenntnis schreitet von diesem Seelenerlebnis zu anderen vor, die man haben kann, wenn das in der physischen und chemischen Wissenschaft geübte Denken zum Anschauen in Imagination, Inspiration und Intuition sich gewandelt hat. Und diese anderen Seelenerlebnisse lassen die gleiche Gewißheit aufleuchten.

Wer die Gewißheit in diesen anderen Erkenntnisarten in Abrede stellt, der versäumt es, sich Klarheit zu verschaffen, warum er diejenige der Physik und Chemie gelten läßt. Er gibt sich der letzteren aus Gewohnheit hin und lehnt ab, wofür er keine Gewohnheit erworben hat. Anthroposophie fragt: Warum nimmt man die Erkenntnisse der Physik und Chemie als gewiß hin? Sie findet den Grund in einer bestimmten Art des seelischen Erlebens. Diese Art eignet sie sich an als Richtlinie für die Erkenntnis. Und von dieser Richtlinie weicht sie auch dann nicht ab, wenn sie durch ein verwandeltes Denken über Leben, Seele und Geist Wahrheiten zu erringen sucht.

Deshalb kann Anthroposophie diejenige Denkungsart voll anerkennen, welche in Physik und Chemie zu den bedeutsamsten Ergebnissen der neuesten Zeit geführt hat. Sie muß dem Materialismus sogar das Verdienst zuerkennen, in dem Menschen diejenige Anschauungsart herausgebildet zu haben, die in dem Unlebendigen zu gesunden Urteilen führt. Aber sie muß es auch für unmöglich halten, mit dieser Anschauungsart etwas anderes als Physik und Chemie begründen zu wollen. Aber gerade, wer sich Mühe gibt, zu durchschauen, wie eine solche Anschauungsart zustande kommt, der kann finden, daß mit derselben inneren Sicherheit auch andere möglich sind; solche für das Lebens-, das Seelen- und das Geistesgebiet. Wem Wissenschaft nicht ein Äußerliches bleibt, in das er sich nur hineingewöhnt, sondern dem sie zum klaren inneren Erlebnis wird, der kann eben nicht nur stehen bleiben bei dem Physischen und Chemischen; denn für ihn ist ein Fortentwickeln der Sinnes- und Verstandeserkenntnis zu den Formen der Imagination, Inspiration und Intuition nichts anderes als ein Fortschreiten der Kindesform zu der des erwachsenen Menschen. Im erwachsenen Menschen wirken dieselben Kräfte wie im Kinde; im Leben-, Seelen- und Geist-Erkennen wirkt dieselbe Wissenschaftlichkeit wie in Physik und Chemie.

 

aus TB 635 (1982), S 108 ff

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