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Rudolf Steiner

DER WERDENDE GOETHE IM LICHTE BENEDETTO CROCES

Das Goetheanum, III 1, 12. August 1923

 

Wem Benedetto Croces «Ästhetik als Wissenschaft des Ausdrucks » bekannt ist, der muß auf das äußerste gespannt sein, auch das Goethe-Buch dieser hervorragenden Persönlichkeit zu lesen, das 1918 erschienen und seit 1920 in der außerordentlich sympathischen deutschen Ausgabe von Julius Schlosser vorhanden ist.

Vielleicht dürfte man sagen, daß die Lektüre dieses Buches ein dramatisches Erleben ist. Man geht durch eine «Vorrede des Verfassers», durch die Kapitel «Sittliches und geistiges Leben», durch weiteres «Das Leben des Dichters und Künstlers» und dann durch die Darstellung des «Werther» hindurch.

Man ist bei diesem Teile des Buches voller Erwartung. Alles deutet daraufhin, man werde ein individuell gefärbtes, äußerst anziehendes, weitherzig gestaltetes, kunstvoll durchgeführtes Goethe-Bild vor das Seelenauge gestellt haben.

Es beginnt verheißungsvoll: «Als ich mich nun in trüben Tagen des Weltkriegs wieder in Goethes Werke vertiefte, gewann ich aus ihnen so viel Erleichterung und Erquickung, wie sie mir wohl kein zweiter Dichter in solchem Maße hätte gewähren können; und das regte mich an, einige kritische Bemerkungen niederzuschreiben, die sich mir von selbst aufgedrängt hatten und immer als Wegweiser des Verständnisses erschienen waren.»

Croce will in Goethe dringen ohne die schwere Last, die die unkünstlerische Gelehrsamkeit diesem Geiste nun leider seit lange angehängt hat. Bei Goethe achten so wenige darauf, daß auch dieser Geist ein Recht hat, in dem Bilde erfaßt zu werden, das sich aus dem ergibt, was er als «Werk» der Welt gegeben hat. Hinter dem «Leben», für das biographische Daten so reichlich fließen, verschwindet dies Werk in den gebräuchlichen Goethe-Darstellungen. Croce wahrt sich dem gegenüber seinen freien Blick. « Man hat gesagt, daß, wenn Goethe auch nicht ein großer Dichter gewesen wäre, er trotzdem ein großer Künstler des Lebens bliebe; das hält zwar strenger Auffassung nicht stand, da es nicht angeht, das Leben, das er gelebt hat, zu begreifen, ohne das dichterische Werk, das er hervorbrachte.» Aber es wird auch klar erkannt, wie gerade bei Goethe das Auge Werk und Leben in Eins schauen muß, da er selbst unausgesetzt seiner umfassenden Weltbetrachtung durch eine eindringliche Selbstbeobachtung Frische und Leben zuführt. «Gleichwohl ist hier, in sinnreicher Art, die Beziehung seines Lebens zur Dichtung angedeutet, als die eines Ganzen zu einem, wenn auch sehr beträchtlichen Teile - oder ist es nicht vielleicht richtig, daß die größere Zahl der Bände von Goethes Werken - auch ohne den Briefwechsel und die Gespräche in Betracht zu ziehen - ausgefüllt wird von Denkwürdigkeiten, Jahresheften, Tagebüchern, Reiseberichten, und daß nicht wenige der übrigen eingestreute oder verlarvte Selbstschilderungen enthalten, zu denen die Erklärer den Schlüssel zu finden bemüht sind ? »

Durch die glänzende Unbefangenheit Croces gegenüber den beiden Seiten des Goethe-Bildes vermag er dieses in ein Licht zu stellen, so daß man zunächst den Eindruck hat: hier wird Goethe in die Geschichte des Geisteslebens in prägnanter Weise eingegliedert: «Die Schau seines Lebens, verbunden mit seinem Werk, bietet einen vollständigen vorbildlichen Lehrgang, per exempla et praecepta, hoher Menschlichkeit: einen Schatz, der in unseren Tagen wohl nicht so genützt wird, wie er es verdiente von Seiten der Erzieher und denen, die sich selbst zu bilden bestrebt sind.»

Croce will aus seinem Goethe-Bilde das Wild-Genialische fortlassen, das diejenigen in ihn hineinphantasieren, die, um nach ihrem Sinne zu «leben » das wirkliche Leben, das nun einmal der Schwere und des Ernstes nicht entbehren kann, als philisterhaft anschwärzen. «Die Erscheinung Wolfgang Goethes ... setzt sich zusammen aus ruhiger Tüchtigkeit, ernsthafter Güte und Gerechtigkeitsliebe, aus Weisheit, Gleichgewicht, gutem Menschenverstand und Gesundheit, mithin aus alledem, was man als <bürgerlich> zu verspotten pflegt. ... Er war tief, aber nicht <abgründig>, wie man ihn jetzt hinstellen möchte, genial, aber nicht diabolisch.»

Die Ganzheit des Menschenwesens, nach der Goethe in allem Schaffen und Leben hinneigte, wird von Croce scharf betont. «Und was lehrte er denn im Grunde ? Vor allem, was immer man auch treibe, ein ganzer Mensch zu sein, stets mit aller gesammelten Eigenkraft zu wirken, Fühlen und Denken nicht zu trennen, nicht von außen her und als Schulfuchs zu arbeiten, eine Forderung, die er in gährenden Jugendjahren, unter dem Bann abenteuerlicher Geister, wie Hamanns, noch etwas allzu stofflich oder allzu schwärmerisch auffaßte, die er aber bald zu vertiefen wußte und deshalb selbst klärte und zurechtrückte, dadurch, daß er die geheimnisvolle, unaussprechliche Allheit durch scharfen Umriß sinnenfällig machte.»

Goethe erscheint bei Croce als der Mensch, der «sich nicht zum Sehnen und Träumen, sondern zum Wollen und Handeln » erziehen will.

Indem sich Goethe so vor Croce hinstellt, gelingt es diesem, den «Werther »in einer glänzenden Art in die Kunst und in das Leben einzuorientieren. Das Leben, das Werther lebt, ist ja weit entfernt von dem Leben Goethes, der den Werther dichtet. Werther ist krank; Goethe empfindet, wie diese Wertherkrankheit im Leben Wurzel fassen kann. Für ihn entsteht die Frage, wie man sie in ihrer Wahrheit empfindet und schildert. Indem er dieses unternimmt, tut er es als Gesunder. Croce nennt mit Bezug auf Goethes eigenen Seelenzustand Werther «eher ein Impfungsfieber denn wirkliche Krankheit». Scharf wird Goethes eigene Seelenlage aus all dem herausgezogen, was Werther in die Katastrophe hineinhetzt.« Dies erklärt das Kindliche, das uns lächeln macht, ja gleichsam in Verlegenheit bringt, wenn wir den Bericht und die Zeugnisse lesen, die das Verhältnis des jungen Goethe zu Lotte Buff und ihrem Bräutigam und Gemahl, dem wackern, geduldigen Kestner, zum Gegenstand haben. Lauter Dinge, über welche die Biographen und Anekdotenjäger wahrhaftig allzu geschwätzig sich haben

vernehmen lassen, wie gewöhnlich die seelische Bedeutung mißverstehend und der üblen Neigung nachgebend, das Werk der Kunst im biographischen Stoff zu ertränken, mit Übertreibung und Verkehrung des berechtigten sittlichen Anteils, den Goethes Person erweckt...»

Die Schöpfung des Werther erscheint bei Croce in Goethes Leben eingegliedert als eine künstlerisch-sittliche Reinigung. Goethe wollte das Wertherfieber künstlerisch in sich erleben, um sich vor Anfällen durch dasselbe gründlich zu heilen. «Werther - der <unglückliche Werther> - war ... für den Dichter keineswegs ein Ideal wie für seine Zeitgenossen. Goethe verherrlicht im Werther weder das Recht auf Leidenschaft, weder die Natur auf Kosten der Gesellschaft, noch den Selbstmord, oder was sonst noch genannt wurde, das heißt, er stellt dies nicht als Seelenzustände dar, die in jenem Augenblick bei ihm vorherrschten. Er stellt dagegen, wie der Titel besagt, die <Leiden> und zuletzt den Tod des jungen Werther dar; und gerade weil er dessen Schicksale als Schmerzen, unfruchtbare Schmerzen ansieht, ihre Entwicklung als so geartet, daß sie nicht zu dem freudigen Hochgefühl des Überlegenseins und der Erhebung über die ändern führt, sondern zur Selbstvernichtung, deshalb ist das Buch eine befreiende und reinigende Tat geworden...»

Croce läßt nicht gelten, daß der Werther, wie so viele meinen, eine « erhabene Legende der Liebe » sei; dagegen ist er ihm «ein Krankheitsbuch»; die Werthersche Art von Liebe «ist ein Anzeichen oder eine unmittelbare Äußerung der Krankheit selbst». Der Werther antwortet dem Drängen der Mutter und der Freunde, er möge sich doch zu fruchtbarer Tätigkeit aufraffen: « Bin ich jetzt nicht auch aktiv ? und ist's im Grunde nicht einerlei, ob ich Erbsen zähle oder Linsen ?» So antwortet der «in Müßiggang, Träume, ja Raserei Verstrickte». Goethe steht diesem «Helden» seines Buches, wie Croce treffend meint, nicht als einer gegenüber, der mit ihm etwas gemein hat, sondern wie ein objektiv Betrachtender, der nach dem Heilmittel für ein Übel sinnt. Der Werther ist« das Buch eines Wissenden, eines Verstehenden, der, ohne Werther selbst zu sein, vollkommen in Werther eindringt, mit ihm fühlt, ohne mit ihm zu rasen ».

Hat man in Croces Buch bis hieher gelesen, so hat man sich wie in einem gedanklichen Erleben befunden, das einer dramatischen Exposition gleicht. Die Spannung darnach, was der Autor über Goethe zu sagen haben wird, ist von Seite zu Seite gestiegen.

Nun kommt das Kapitel «Der Schulfuchs Wagner». Eine rechte Überraschung, wie sie im Drama oft eintreten. Denn Croce liefert nun eine Art Ehrenrettung Wagners im Faust. Es ist, als ob Croce gar zu oft sich geärgert hätte über die Philister, die sich «genial», ja fast «faustisch» fühlen, wenn sie über Wagner sich mit Fausts Sätzen lustig machen. Solchen Philistern in der Maske des «freien Menschen » setzt Croce eine Art Bekenntnis zu Wagner entgegen. «Ich muß bekennen, daß ich für Wagner, den <Famulus> Doktor Fausts, eine gewisse Zärtlichkeit empfinde. Mir gefällt an ihm sein argloser, unbedingter Glaube an die Wissenschaft, das ehrliche Hochziel eines ernsthaft Forschenden, die einfache Rechtschaffenheit, die un-gespielte Bescheidenheit, die Ehrfurcht, die er vor seinem hohen Magister hegt...»

Es kommt sogar etwas Eigentümliches durch Croces Darstellung durch. Faust erscheint mit seinen Grillen, seinen Träumen, seinem unbestimmten Geist-Ersehnen wie ein halbhaltloser Schwärmer und Nörgler gegenüber dem in sich gefestigten, auf sein gediegenes Gelehrtenziel lossteuernden Wagner. Und ein merkwürdiger Gedankenanklang stellt sich Croce ein: «Sieh dich wohl vor, wenn du ein Weib nimmst; denn glückt es dir nicht, eines jener schüchternen, schweigsamen Geschöpfe heimzuführen, die Jean Paul oft seinen verrückten Gelehrten zugesellt, wird dir statt dessen ein Faust im Unterrock zuteil, eine Titanin, eine Walküre, so wirst du nicht bloß philosophische Geißelhiebe erhalten, und sie werden empfindlich genug sein, sondern du wirst dich - und das verdienst du wahrlich nicht - in eine Wolke von Abneigung, Haß, Ekel gehüllt finden ...» Croce wünscht dem «zärtlich» geliebten Wagner das nicht. «Denn Wagners Ideal ist nicht mehr und nicht weniger als das humanistische... das ehrfürchtige Studium alter Geschichte, zu dem Zwecke, um aus ihr Grundsätze ... zu gewinnen, dann die Erforschung der Naturgesetze zum Nutzen der Gesellschaft.»

Ist diese «Ehrenrettung » Wagners nur ein dramatisches Intermezzo, um Goethes Faust in rechte Höhe zu stellen? So fragt man sich als Leser des Buches. Die dramatische Spannung ist groß.

Die Verwickelung (Schürzung des Knotens) und die Katastrophe möchte ich nächstens schildern.

 

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