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Rudolf Steiner

DER MICHAELSTREIT VOR DEM BEWUSSTSEIN DER GEGENWART

Das Goetheanum, III 9, 7. Oktober 1923

II

In dem Bilde «der Streit Michaels mit dem Drachen» lebte ein starkes Bewußtsein davon, daß der Mensch durch seine eigenen Kräfte der Seele eine Lebensrichtung geben müsse, die ihr die Natur nicht geben kann. Die heutige Seelenverfassung ist geneigt, einem solchen Bewußtsein mit Mißtrauen zu begegnen. Sie fürchtet, durch dasselbe der Natur entfremdet zu werden. Sie möchte die Natur in ihrer Schönheit, in ihrem sprießenden, sprossenden Leben genießen, und sich diesen Genuß nicht rauben lassen durch die Vorstellung von einem « Abfall der Natur vom Geiste ». Sie möchte auch in dem Erkennen die Natur sprechen lassen und sich nicht in das Phantastische verlieren, indem sie dem Geist, der sich über die Naturanschauung erhebt, eine Stimme beim Erstreben der Wahrheit über das Wesen der Dinge zugesteht.

Goethe hat eine solche Furcht nicht gehabt. Er empfand ganz gewiß in der Natur nichts Geistfremdes. Sein Gemüt stand weit offen der Schönheit, der inneren Kraft alles Natürlichen. Im Leben der Menschen berührte ihn vieles Unharmonische, Zerrissene, in Zweifel Werfende. Dem gegenüber fühlte er einen inneren Drang, mit der ewigen Konsequenz

und Ausgeglichenheit der Natur zu leben. Aus solchem Leben hat er leuchtende Perlen seiner Dichtung herausgezaubert.

Aber in ihm war auch etwas von der Empfindung, das Werk des Menschen müsse durch eigenes Schaffen das Werk der Natur erst vollenden. Alle Schönheit der Pflanze empfand Goethe. Aber er empfand auch etwas Unvollendetes in dem Naturleben, das die Pflanze vor den Menschen hinstellt. Es liegt mehr in dem, was innerlich in der Pflanze webt und wirkt, als in dem, was in begrenzter Gestalt von ihr vor dem Auge steht.

Neben dem, was die Natur erreicht, empfand Goethe noch etwas wie «Absichten der Natur». Davon, daß man mit einer solchen Vorstellung die Natur personifiziere, ließ sich Goethe nicht beirren. Er war sich bewußt, daß er nicht aus einer persönlichen Willkür solche Absichten in das Pflanzenleben hineinträume, sondern daß er sie völlig objektiv in demselben schaue, wie er die Farbe der Blüte schauen kann.

Deshalb war er ungehalten, als Schiller ihm sein Bild von dem inneren Werdestreben der Pflanze, das er einmal vor den Augen des Dichterfreundes mit wenigen Strichen hinzeichnete, als «Idee » und nicht als «Erfahrung » bezeichnete. Er erwiderte dem Freunde, daß, wenn dieses eine «Idee» sei, er eben seine Ideen mit Augen schaue, wie er Farben und Formen mit Augen wahrnehme.

Goethe hatte eben eine Empfindung dafür, daß in der Natur nicht nur ein aufsteigendes, sondern auch ein absteigendes Leben ist. Er empfand das Keimen, Sprossen, Blühen, Fruchten; aber er empfand auch das Welken, Abblassen, Verdorren, Ersterben. Er empfand den Frühling; aber er empfand auch den Herbst, er konnte im Sommer durch das eigene Gemüt die Entfaltung der Natur in sich miterleben; aber er konnte auch im Winter mit demselben offenen Gemüte mit der Natur mitsterben.

Man wird in Goethes Werken diese zwiefältige Naturempfindung mit Worten nicht vollinhaltlich ausgesprochen finden. Aber man kann sie aus seiner ganzen Seelenhaltung herausfühlen. Es war in ihr noch ein Nachklang der alten Empfindung vom « Streite Michaels mit dem Drachen ». Aber diese Empfindung war in das Bewußtsein des neuzeitlichen Menschen heraufgehoben.

Goethes Seelenhaltung hat nach dieser Richtung im neunzehnten Jahrhundert keine Fortsetzung gefunden. Die neuere Geistesanschauung muß zu einer solchen Fortsetzung hinstreben.

Die Naturempfindung ist keine vollendete, wenn der Mensch nur das Keimen, Sprossen, Blühen, Fruchten in seinem Innern miterlebt; er muß auch den Sinn für das Welken, Ersterben haben. Er wird dadurch der Natur nicht entfremdet. Er verschließt sich vor ihrem Frühling und Sommer nicht. Aber er fühlt auch ihren Herbst und Winter.

Der Frühling und der Sommer fordern Hingabe des Menschen an die Natur; der Mensch lebt sich aus sich heraus und in die Natur hinein. Der Herbst und der Winter regen an, sich in das Menschliche zurückzuziehen und dem Absterben der Natur die Auferstehung der Seelen- und Geisteskräfte entgegenzustellen. Der Frühling und der Sommer sind die Zeiten des Naturbewußtseins der Menschenseele; der Herbst und der Winter sind die Zeiten der Erfühlung des menschlichen Selbstbewußtseins.

Wenn der Herbst erscheint, dann nimmt die Natur ihr Leben in die Tiefen der Erde hinein; das Keimende, Fruchtende entzieht sie dem Auge des Menschen. In dem, was sie dem Auge zeigt, liegt nicht eine Erfüllung; da liegt eine Hoffnung: die Hoffnung auf den neuen Frühling. Die Natur läßt den Menschen allein mit sich.

Da beginnt die Zeit, in welcher der Mensch durch seine eigenen Kräfte sich beweisen muß, daß er lebe und nicht sterbe. Die Sommernatur hat dem Menschen gesagt: ich nehme dein «Ich » auf; ich lasse es mit den Blüten selber in meinem eigenen Schöße blühen. Die Herbstesnatur beginnt zum Menschen zu sagen: hole Kräfte aus den Tiefen deiner Seele, auf daß dein Ich in sich lebe, derweil ich mein Leben in die Tiefen der Erde verberge.

Goethe war unwillig, als sein Empfinden auf die Worte Hallers stieß: Ins Innere der Natur dringt kein erschaffner Geist; glückselig, wem sie nur die äußere Schale weist. Goethe fühlte: Natur hat weder Kern noch Schale; alles ist sie mit einem Male. Die Natur hat zum Leben das Sterben nötig; der Mensch kann auch das Sterben miterleben. Er kommt dadurch nur tiefer in das «Innere» der Natur hinein. Er erlebt in seinem organischen Innern seine Atmung, seinen Blutumlauf. Die sind sein Leben. Was in der Natur im Frühling keimt, es steht ihm in Wahrheit so nahe wie seine eigene Atmung; es lockt seine Seele in das Naturbewußtsein hinaus; was im Herbste erstirbt, es steht ihm nicht ferner als das Kreisen seines Blutes; es stählt in seinem Innern das Selbstbewußtsein.

Das Fest des Selbstbewußtseins, das dem Menschen seine echte Menschlichkeit nahebringt: es ist da, wenn die Blätter fallen; der Mensch hat nur nötig, sich dessen bewußt zu werden. Es ist das Michaelfest, das Fest des Herbstbeginnes. Das Bild des siegenden Michaels kann da sein: es lebt in dem Menschen, der im Sommer liebend in die Natur aufgegangen ist, der aber den Schwerpunkt seines Wesens verlieren müßte, wenn er aus dem Verlorensein in der Natur nicht aufsteigen könnte, zu dem Erkraften des eigenen Geisteswesens.

 

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