Forum für Anthroposophie, Waldorfpädagogik und Goetheanistische Naturwissenschaft
Home
 
Home


Home
Suchen
Vorträge
Rudolf Steiner

Veranstaltungen

Service-Seiten

Adressen
Ausbildung


Bücher
Bibliothek
Links

Link hinzufügen
Stellenangebote

FTP Download

Impressum

Email
http://bibliothek.anthroposophie.net

Sätze aus der erotischen Philosophie

Franz von Baader

Religion und Liebe, wie sie unter sich enge verwandt sind, sind unleugbar die höchsten Gaben des Lebens, welche bei einem vernünftigen Gebrauche das Glück desselben, bei einem unvernünftigen Mißbrauche dessen Unglück sowohl dem Individuum, als der Sozietät bringen. Man sollte darum meinen, daß dem Menschen nichts angelegener sein könnte, als über diese beiden Gegenstände ins klare zu kommen. Allein die beliebte Trägheit des Geistes und Gemüts, so wie das alte, von Rousseau und Jacobi wieder aufgewärmte Vorurteil — daß nämlich der Mensch zu empfinden aufhöre, so wie er zum Denken oder zur Einsicht zu gelangen beginne — haben vieles dazu beigetragen, die Menschen über Religion und Liebe in größerer Unwissenheit zu erhalten, als über irgend einen ändern Gegenstand des Lebens. Religion und Liebe, sagt man, sind bloß Herzenssachen, bei denen es nichts zu grübeln, d. i. zu denken gibt, welche man folglich nur durch Abhalten des Gedankens sich gewinnt und sich erhält, mit ändern Worten, die man nur als blinde Empirie zu treiben hat. Kein Wunder darum, wenn bei so vielen Menschen sowohl ihre Religion, als ihre Liebe nur in einem chiar oscuro ihrer Vernunft sich erhält.

1. Wenn man das Wesen der Liebe mit Recht in das Vereint- und Ausgeglichensein, in die Vollendung und wechselseitige Ergänzung der Einzelnen durch ihren Eingang und Subjektion unter ein gemeinschaftlich Höheres — den Eros — setzt, denn jede Union kömmt nur in einer Subjektion zustande; so muß man bedenken: a) daß nur Ungleiches einer Ausgleichung fähig ist und ihrer bedarf, wie denn nicht gleichlautende (unisone), sondern nur unterschiedene Töne einen Akkord geben, so wie b) daß dieser Akkord, Harmonie und Einklang weder vor der wirklichen Ausgleichung, noch nach ihr, sondern in ihr als Aktuosität statt findet, und daß man folglich die Liebe nicht außer dem Lieben, die Einheit (unitas) nicht außer dem Einen (unire), wie das Leben (vita) nicht außer dem Leben (vivere) begreifen kann; und endlich müssen c) für jede Liebe, die des Geschöpfs zum Schöpfer wie die zum Geschöpf, zwei Stadien oder Momente unterschieden werden, in deren erstem sich die Liebenden nur erst noch im unisono, im noch ungeprüften und unbewährten Stand ihrer Liebe sich befinden, in welchem zwar noch keine Differenz sich merklich macht, welcher Zustand aber die Differenzierbarkeit, Zerbrechlichkeit oder Sterblichkeit der Union in sich birgt, welche erst radikal getilgt werden müssen, damit diese (die Liebe) in das zweite Stadium des wahrhaften Akkords und ihrer Substanzierung zu gelangen vermag. Es ist allerdings für die erotische Philosophie viel gewonnen, wenn man zur Einsicht gelangt ist, daß die Liebe (Gottes, wie des Menschen) kein bloß nur Gegegebenes oder sich zu geben Lassendes, kein in Passivität und Müßigsein nur Genießbares ist, sondern, daß sie als wahrhafte Liebe (amor generosus) ein Aktuoses ist, und nur durch eine Vermittlung eines unmittelbar Gegebenen, nicht ohne das Tun der Liebenden, wird, d. h., daß eine solche nur erst gegebene Liebe bei allem Reiz und aller Annehmlichkeit ihrer Unschuld doch die Gebrechlichkeit, ja den Tod in sich trägt, dessen radikale Tilgung den Liebenden folglich nicht gegeben, sondern als ein zu lösendes Problem ihnen aufgegeben ist [1]. Die Liebe als Union nimmt übrigens einen anderen Charakter an, je nachdem die sich zu Einenden untereinander, oder sich gegenüber stehen, und aus diesem Standpunkte ist bereits in einem früher dieser Zeitschrift eingerückten Aufsatze (über den Zusammenhang des Cultus mit der Cultur) der Stammbaum der Liebe, nämlich der Zusammenhang der Gottes-, der Menschen- und der Naturliebe nachgewiesen worden.

2. Von dieser Tilgung der Differenzierbarkeit als der Sterblichkeit der unmittelbaren und bloß natürlichen Liebe muß nun behauptet werden, daß dieselbe auf zweierlei Weise möglich ist. Es kommt nämlich 1. im Übergang aus dem ersten Stadium ins zweite nicht zum wirklichen Ausbruch oder zur festen Gestaltung der Differenz oder Entzweiung, sondern nur zur Sollizitation der letzteren, welche Sollizitation von den Liebenden als solche überwunden wird, durch welche Überwindung sie bewährt aus der Versuchung und insofern unversuchbar hervorgehen: eine Versuchung, die sich hiermit als das Werden ihrer wahrhaften Liebe bedingend, somit als notwendig zeigt. Oder 2. die Liebenden bestehen in dieser Versuchung nicht, die Sollizitation zur Entzweiung wird nicht von ihnen überwunden, und diese tritt aus der Versuchung effektiv und sich wirklich gemacht habend hervor. In welchem Falle (der auch als Abfall der Liebenden bezeichnet wird) nun nicht mehr bloß die Differenzierbarkeit, sondern die wirkliche Differenz zu tilgen oder aufzuheben ist, und welche Tilgung die Versöhnung heißt.

Wenn übrigens hier die unmittelbar gegebene Liebe die natürliche genannt wird, so wird dieses Wort Natur hier in demselben Sinne gebraucht, in welchem der Apostel Paulus dasselbe nimmt, wenn er sagt, daß der erste unmittelbar geschaffene Mensch der natürliche ist, aus dem durch Aufhebung dieser Unmittelbarkeit der Geistmensch hervorgehen soll. Nur die in diesem Sinne vermittelte Liebe ist darum als die wahrhaft und geistig gewordene, die nicht mehr bloß natürliche, sondern übernatürliche, die naturfreie, aber nicht naturlose, so wie das Heilige im Sakramente naturfrei, nicht naturlos ist, und diese zweite Liebe kann man darum auch die zweit- oder wiedergeborene nennen, in welcher das Verhältnis der Liebenden sich anders zeigt, als dasselbe sich im ersten Stadium ihrer Liebe zeigte. Zum Beispiel in der Gottesliebe gibt sich der Schöpfer erst in diesem zweiten Stadium als eigentlicher Vater seines Geschöpfes, als seines Kindes, kund und offenbar.

3. Wenn der Übergang aus dem ersten Stadium der Liebe in das zweite in jenem ersten oben bezeichneten Fall frei und ungehemmt war, so ist er dieses nicht mehr im zweiten Fall, nämlich in und nach dem geschehenen Abfall der Liebenden. Hier ist ein Neues, positiv Hemmendes und Reagierendes entstanden, ohne dessen Wegräumung, Aufhebung oder Auflösung jener Übergang nun nicht mehr möglich ist. Das Wort Sünde kommt von Sondern, Trennen (asunder), und man sieht darum die Richtigkeit jener Behauptung ein, daß die uns von Gott trennende Sünde allerdings bezüglich auf uns etwas Reales ist, sowie daß überhaupt, bei jedem Fall der Liebenden voneinander, der Abfallende ein solches positiv Hemmendes zwischen sich und den Geliebten gestellt hat, und sich darum m einer Spannung [2] mit ihm befindet; weswegen denn auch das versöhnende Prinzip oder Agens als das diese Spannung lösende, von selber erlösende, dargestellt wird.

4. Da das Verhalten (Bezug oder Rapport) des Geschöpfes zum Geschöpf durch sein Verhalten zum Schöpfer bestimmt wird, oder da der Mensch mit dem Menschen und mit der Natur lediglich nur so steht, wie er mit Gott steht, und, durch seinen Abfall von Gott mit diesem gebrochen habend, nicht anders, als durch die Vermittlung der Versöhnung zur wahrhaften Gottesliebe wieder gelangen kann, so vermag er auch zur wahrhaften Menschen- und Naturliebe nicht anders, als durch dasselbe Medium der Versöhnung zu gelangen, weil der freie Übergang aus dem ersten Stadium der Liebe m das zweite ihm gesperrt ist.

5. Der Begriff der Versöhnung ist nämlich jener der gegenseitigen Versöhnung Gottes mit der Menschheit und der hieraus hervorgehenden Versöhnung der Menschen unter sich, indem diese von jener durchdrungen, nicht in ihrer, sondern in dieser versöhnenden Kraft gegenseitig von ihrer Feindschaft und Entzweiung ablassen, so wie von jener Naturscheue, von welcher Goethe öfters sprach, als von einer Scheue gegen die Natur, als gegen eine dem Menschen fremde, unheimliche, ja tückische und nie völlig ihm befreundete Macht. Wo also immer wahrhafte Liebe stattfindet, oder wo diese wirklich aus dem ersten Stadium ihrer Unmittelbarkeit in das zweite höhere übergegangen ist, da liegt derselben eine religiöse (reliierende), lösende oder erlösende Aktion (Agens) zu Grunde [3].

6. Was die Versöhnung in der Liebe vermag und leistet, davon überzeugt uns schon die tägliche Erfahrung oder der Vergleich dieser Liebe vor und nach oder vielmehr in der Versöhnung, und wenn es zwar ein gemeines Vorurteil ist, daß jene Liebe die beste sei, in welcher gleich von Anfang kein Mißverständnis, Zwist oder Zerwürfnis stattfindet, folglich auch kein Reuen und Verzeihen, welche in ihrer Begegnung die Versöhnung bewirken, so ist doch nicht zu leugnen, daß auch die beste Liebe nicht gleichgestimmte, sondern gleichstimmbare Gemüter zusammenführt, welche sich nur durch Vermittlung der Aufhebung mancher sich erst entwickelnden Differenz auszugleichen haben. Und wer hätte nicht die Erfahrung gemacht, daß in der Freundes-, wie in der Frauen- und Elternliebe oft nur die tiefste Zerrissenheit die innigste und festeste Reunion herbeigeführt, und daß nur das auf Veranlassung eines solchen Bruches oder Abfalls geflossene und geopferte Herzblut den Kitt zu jener tieferen und dauernden Reunion hergab. Sie liebte viel, sagte der Herr von seiner zartesten Freundin, denn es ist ihr viel vergeben worden.

7. Wenn wir indes auf solche Weise die Liebe in ihrer zur Vollendung sich forttreibenden Dialektik die Stadien der Verlockung zur Untreue (Sünde — denn jede Untreue ist in bezug auf die Liebenden Sünde), des Schmerzes der Reue und der Demütigung der Verzeihung durchgehen sehen, so müssen wir bemerken, daß hier nur von einem frei übernommenen Schmerz und von einer frei übernommenen Demütigung die Rede ist, weil, so lange beide noch unfrei und nur äußerlich abgehalten sind, sie nur das Gegenteil der Liebe bewirken können. So wie die Gewissensbisse (oder der moralische Imperativ [4]) als solche den Sünder nicht bessern, und wie die Teufel darum keine Religion oder Gottesliebe haben, weil sie zitternd an Gott glauben, d. h. sich dieses Glaubens oder dieser Überzeugung nicht erwehren können.

8. Wenn man mit Recht sagt, daß die Liebe mit dem Mitleid nahe verwandt ist, oder wenn Plato sie eine Tochter des Überflusses und der Armut nennt, so kann man dieses auch dahin deuten, daß die Liebe die Tochter des Verzeihens und Reuens, d. i. der Versöhnung ist, weil nur das reiche Gemüt verzeiht, und nur das arme der Verzeihung bedarf. Zu verzeihen und zu bereuen vermögen wir aber nicht in den Schranken unserer natürlichen Selbstheit und Abgeschlossenheit, sondern nur in der diese Schranken durchdringenden und übergreifenden Macht der Liebe, d. i. Gottes, welcher die Liebe ist.

Wo darum immer aufrichtige Reue und Verzeihung sich unter den Menschen als diese versöhnend begegnen, da sind es diese Menschen nicht, welche selber (ex propriis) diese Versöhnung bewirken, sondern es ist eine höhere, vermittelnde Aktion unter sie eingetreten, welcher sie sich gemeinschaftlich unterwarfen, und welche dem einen den Reichtum des Verzeihens, dem ändern die Kraft der Demut gab, und jeder wahrhafte Versöhnungsakt muß darum als ein religiöser, jene vermittelnde höhere Aktion manifestierender, begriffen werden [5]

9. Der soeben aufgestellte Satz, daß die vermittelnde Aktion oder der Vermittler immer höher steht, als die zu Vermittelnden, gilt allgemein. So z. B. muß man die Offenbarung der vermittelnden und versöhnenden Liebe für eine tiefere Offenbarung Gottes anerkennen, als jene seiner Gerechtigkeit (des Gesetzes), mit welcher die Kreatur zu vermitteln ist. Und ebenso zeigt sich, daß, da in jeder Sozietät der Regent und die Regierten nur vermöge einer Vermittlung in organisch freier Union zu bestehen vermögen (deren Verletzung von oben nach unten gehend Despotismus, von unten nach oben Empörung heißt), es nur eine höhere, über beiden stehende, somit geistige oder moralische Macht, d. i. jene der Religion sein kann, welche diese Vermittlung bewirkt. Für seicht und verwerflich muß man darum alle jene staatswissenschaftlichen Theorien erklären, welche den Urständ, Bestand und die Restauration des Staats naturalistisch und ohne die Religion und ihre vermittelnde, reliierende und versöhnend ausgleichende Macht erklären zu können meinen; oder welche nicht begreifen, daß auch die Sozietät durch Aufnahme des Prinzips der Religion der Liebe aus dem ersten Stadium (ihrer Natürlichkeit) in das zweite höhere überzugehen berufen ist.

10. Was wir bisher von der Versöhnung als die Reunion und Liebe bewirkend gesagt haben, erhält seine volle Bestätigung damit, daß man i. einsieht, daß diese Versöhnung den gefallenen Menschen nicht etwa bloß in den Unschuldstand zurücksetzt oder in das erste Stadium seines Verhaltens zu Gott, sondern daß sie ihn sofort in das zweite Stadium der Liebe versetzt und 2. damit, daß man jenes allgemeine Gesetz des Lebens kennen lernt, gemäß welchem jede organische Reunion inniger und fester ist, als die frühere aufgehobene Union war, und zwar darum, weil das einende Prinzip auf Veranlassung der geschehenen Trennung oder auch nur der Sollizitation zu dieser, sich in sich tiefer zu einer neuen Emanation fasset, und mittelst dieser tiefern, aus sich geschöpften Emanation das zu Einende in demselben Verhältnisse tiefer und inniger mit sich verbindet. Das Kind, welches wir vom physischen oder moralischen Verderben gerettet, ist uns ungleich werter und teurer durch diese Rettung geworden, und das Gesundheitsgefühl nach einer überstandenen schweren Krankheit übertrifft weit jenes vor dieser Krankheit. So sagt die Schrift, daß größere Freude im Himmel über einen sich bekehrenden Sünder ist, als über neunzig der Bekehrung nicht bedürftige Gerechte. Und so sehen wir im Organismus jedem neuen Bruch desselben durch einen Callus oder Narbe für die Zukunft abgewehrt.

11. Um aber das hier ausgesprochene Gesetz der auf Veranlassung von Reaktionen immer tiefer geschöpften Emanationen des Lebens sogleich in seiner höchsten Bedeutung und Manifestation zu erfassen und nachzuweisen, müssen wir bemerken, daß ja Gott selber in seinen drei sich folgenden Emanationen, welche die drei Weltepochen bezeichnen, demselben Gesetze folgte. Wie es nämlich nicht zu leugnen ist, daß dem Auftritt oder der Sendung des Menschen in die Welt ein Zubruchgegangensein derselben vorging (gleichsam le lendemain d'une bataille, wie ein französischer Schriftsteller sagt), mit dem Berufe der Restauration und der Ausgleichung eines zerrütteten und in sich hineingestürzten intelligenten und nichtintelligenten Universums zuerst in ihm erschien, und wie es ferner darum nicht zu leugnen ist, daß Gott auf Veranlassung jenes ersten Bruches sich tiefer zur Emanation des Menschen faßte, so ist es ebenso gewiß, daß, auf Veranlassung des zweiten Abfalls oder jenes des Menschen, Gott sich zu einer dritten, tiefsten Emanation seines innersten Wesens (der Liebe oder des Jesus) faßte, durch welche letzte Emanation erst der Zweck der nun unauflösbaren Einung des Geschöpfs mit dem Schöpfer oder Gottes mit der Welt zugleich mit der höchsten Elevation des Geschöpfs angebahnt war und zu Stande kommen konnte. Und zwar so, daß auch hier, wie bereits oben bemerkt worden ist, nur das geflossene und geopferte Herzblut den Kitt zu einer für die Ewigkeit dauernden Einung oder Bund gab.

12. Mit diesem Blutopfer ist aber auch das Herzblut (ame-principe) jedes einzelnen Menschen wieder flüssig und somit frei offenbar geworden, und der Mensch ward hiermit von jener Erstarrung seiner Selbstheit befreit und erlöst, welche ihm den Übergang aus jenem ersten Stadium der Liebe in das zweite bis dahin unmöglich machte. Diese sonst alles ausschließende und darum fest verschlossene Persönlichkeit des Menschen ward durch diese göttliche Blutwärme wieder aufgeschlossen, und nur, nachdem Gott sich dem Menschen geopfert, vermochte auch dieser sich frei nicht nur Gott, sondern durch und in ihm auch dem Menschen wieder frei und ganz ohne Hinterhalt der Selbstheit zu opfern, und mit dem Vermögen, Gott zu lieben, ward dem Menschen das Vermögen gegeben, den Menschen sowohl, als die Natur wahrhaft zu lieben.

13. Wenn jene dritte (im 11. Satz bezeichnete) Weltepoche wirklich eingetreten ist, so muß sich dieses Eingetretensein nachweisen und erweisen lassen [6] in dem Vergleiche des Vermögens der Menschen zu lieben, wie sie selbes vor oder außer und im Christentum zeigen. Und wirklich braucht man z. B. nur jene Sitten, Gebräuche, Sozialinstitute und Gesetze, welche die Geschlechtsliebe (die Ehe) betreffen, zwischen den nichtchristlichen und christlichen Völkern zu vergleichen, um sich von der Wahrheit unserer Behauptung zu überzeugen. Ja selbst in dem, was man Galanterie im nicht frivolen Sinne nennt, zeigt sich in den vorchristlichen, in den christlichen und in unseren zum Teil nachchristlichen Zeiten derselbe unverkennbare Unterschied. Wie nun das Weib erst durch das Christentum zur bürgerlichen Freiheit und Ehre gelangt ist, so hat das weibliche Geschlecht als Bewahrerin der Liebe sowohl dieserwegen große Ursache, dem Christentum zugetan zu sein und dasselbe zu bewahren, als auch darum, weil nur die mit Gott versöhnten und durch diese Versöhnung mit ihm geeinten Gemüter sich auch unter sich wahrhaft zu einen, d. h. zu lieben vermögen.

14. Ich nenne das Weib darum die Bewahrerin der Liebe, weil bekanntlich beim Manne nicht die Liebe, sondern die Lust die Initiative hat, welcher Lust die Liebe nur folgt, wogegen (im Normalzustande) beim Weibe die Lust der Liebe folgt, wie denn letzteres überhaupt der Abstraktion beider minder fähig ist, als der Mann. Was folglich in dieser Hinsicht der Mann bewußt dem Weibe gibt (die Lust), ist das Schlechtere, was aber letzteres ersterem gibt (die Liebe), das Bessere; und gegen diese Würdigung des Weibes in der Geschlechtsliebe kann weder dieser ihr Mißbrauch (abusus optimi pessimus) [7] einen gültigen Einwurf bilden, noch die Bemerkung, daß es doch eben das Weib ist, welches im Manne die Lust erregt, und der Mann es ist, an dem die Liebe der Jungfrau sich entzündet, weil nämlich diese nur die bewußtlose (schuldlose) Erweckerin der Lust im Manne ist, dem sie dafür die Liebe bewußt zurückgibt.

15. Die in ihrer bloßen Natürlichkeit sich haltende Geschlechtsliebe vermag die beiden Elemente derselben nicht bis zu ihrer wahrhaften und völligen Einigung als Erhabenheit und Demut zu bringen, sie vermag die Persönlichkeit nicht von der Sachlichkeit zu befreien, und wo immer diese Einigung zustande gekommen ist, hat die Liebe bereits den religiösen Charakter angenommen. Bedenkt man nun, daß dieselben Elemente als die Geschlechtskräfte der Trennung und Opposition, als gleichsam in der wilden Ehe, nur als Übermut (Hoffart, Despotenlust) und Niederträchtigkeit (Sklavenlust) hervortreten, und daß gerade diese zwei Potenzen die der Sozietät feindlichen Mächte sind, so begreift man, wie die Geschlechtsliebe durch die Religion als die Sozietät bewahrend und sie entsündigend von der Familie aus, als dem Asyl der Religion wie der Liebe, wirkt.

16. So wie die Geschlechtsliebe in ihr zweites höheres Stadium eintritt, und hiermit den religiösen Charakter annimmt, so erhält auch jene Gemeinschaft der Güter (communio bonorum et malorum) unter den Liebenden und sich Vermählenden eine höhere Bedeutung [8]. Das höchste Gut des Lebens (summum bonum) ist nämlich für den Menschen kein anderes, als daß er schon im irdischen oder Zeitleben eine ursprüngliche göttliche Anlage, seine Idee als Gottesbild wieder zu verwirklichen oder zu realisieren beginnt, hiermit aber seine Reunion mit Gott, welche ihm indes, wie wir vernahmen, nur durch die Versöhnung mit letzterem möglich ist. In den Bund der Liebe tretend, verzichtet aber der Liebhaber wie die Geliebte auf diese alleinige Selbstvollendung, und beide gehen in eine solidäre Gemeinschaft ein, sowohl im Streben und Ringen nach dieser Vollendung, als im Schmerz der Suspension derselben, und im Genuß der bereits zum Teil erlangten, so daß auch der Versöhnungsprozeß für sie nur mehr ein gemeinschaftlicher ist, und man sagen kann, daß die treue Liebe dem Geliebten in dieser Hinsicht bis selbst an die Pforten der Hölle folgt.

17. Wenn darum die sich physisch Vermählenden, in die Gattungseinheit oder in die gemeinsame Natur des Geschlechts eingehend, ihren Bund nicht bloß für sich (separatistisch) schließen, sondern selben in die Gattung (im guten und nichtguten Sinne) fortsetzen, so erhält diese Fortsetzung eine ungleich höhere Bedeutung, wenn sie als Fortpflanzung der Restauration des Gottesbildes im Menschen und somit als Segen für die ganze Menschheit sich erweiset, so wie sie umgekehrt als Fluch für die Generation in dieser fortwirkt. 

18. Endlich weist aus diesem höheren Standpunkt auch jene natürliche Phantasmagorie der Geschlechtsliebe, durch welche die Liebenden im ersten Stadium ihrer Liebe sich wechselseitig schöner, liebenswürdiger, vollendeter und besser erscheinen, als sie sind — auf eine höhere Bedeutung hin. Diese Verzückung oder dieses Entzücken als ein Idealisieren der Liebe sollen nämlich die Liebenden nur als ermunternden Ruf und Beruf betrachten und nehmen, um durch gemeinschaftliches Tun das innerlich und wahrhaft zu werden, wozu ihnen die in ihnen liegende Anlage jene Phantasmagorie als gleichsam im Lichtspiegel divinatorisch zeigt, anstatt daß sie, wie dieses gewöhnlich zu geschehen pflegt, diese flüchtige, nur zu bald in eine graue Wolke sich verlierende Morgenröte der Liebe bloß zum wechselseitigen, müßigen, eitlen und nichtigen Selbstspiegel mißbrauchen.

J. Böhme hat nachgewiesen, daß und wie, nachdem der Mensch ins Irdische gelüstend und aus seinem jungfräulichen (Gottes-) Bild in das Mannes- und Weibesbild verstaltet und verbildet ward, ihm doch diese Jungfrau (Sophia oder himmlische Menschheit) sich wieder ins Lebenslicht als ein in der Nacht leuchtend Gestirn (Engel oder Guide) einsetzte oder vorstellte, als ihn in und aus seinem Elend (Fremde) zur verlornen Heimat wieder weisend (Weisheit ist Weiserin). Als solcher Gehilfe (aide), Weiser, Leuchter und Führer steht nun diese Jungfrau sowohl in jeder Mannesseele als in jeder Weibesseele. Wenn aber selbe sich in einer Mannes- und Weibesseele insonderheit und solidär verbindet, so ist hiemit ein Verlöbnis und Bund wahrhafter Liebe und Ehe geschlossen, wie schon in Folge einer siderischen Phantasmagorie diese Solidarität und Identität der Jungfrau als desselben innern Gehilfen und Engels beider dem Liebhaber selber unter der Form der Geliebten, dieser unter der Form des Liebhabers erscheint. Wie denn dieses meistens aus Schuld (Unreinheit, Untreue und Unverstand) der Liebenden von ihnen nicht fixierte Durchblicken der himmlischen Jungfrau die Ekstase der Liebe und ihren Silberblick begreiflich macht. Der höhere, die Zeit übergreifende Zweck der Liebe ist also eben diese solidäre Wiederherstellung (Inkarnation) des für den Menschen zum unleibhaften Geist gewordenen Gottes- oder Jungfrauenbildes in beiden Liebenden, womit sie beide zu Kindern Gottes sich wiedergebären. Und so wie die Entbildung Adams oder seine Verbildung in das Mannes- und Weibesbild erst innerlich geschah, und sich sodann leiblich äußerlich vollendete, (was in der Genesis mit Adams Schlaf und dem Eindämmern als dem Entsinken dem Gottesbild, sowie mit dem Erwachen oder Aufstehen ins Mannes- und Weibesbild angedeutet wird), so muß nun die Restauration des Gottesbildes durch die Wiedertilgung der Verbildung erst innerlich, noch bei irdisch äußerem Leben und Leiben, geschehen, d. h. die Liebe soll dem Manne behilflich sein aus seiner Halbheit zum ganzen Menschenbilde sich innerlich zu ergänzen wie dem Weibe. So daß also die Unlust oder das Kreuz von der Liebe Lust nicht zu trennen ist, weil der Mensch mit Unlust aus dem wieder ausgehen muß, in das er mit Lust einging. Wie denn eben die noch abstrakte innere Mannheit und Weibheit, welche als selbstsüchtig der Liebe widerstreiten, das Kreuz sind, welches die Liebenden im Zeitleben einander sich zu tragen und zu ertragen behilflich sein müssen. Dieser Wiedergeburtsprozeß (Religion) der Liebe in zwei Liebenden dramatisch dargestellt, und im Kampf mit seinem Widersacher (denn der Teufel ist der Ehe oder Liebe feind, weil er der Wiedergeburt feind ist) würde freilich etwas zugleich Wahrhafteres und Poetischeres geben, als alles, was alle Poeten uns bisher über die Liebe zu geben wußten, weil sie ohne Ausnahme im Mysterium der Liebe völlig blind blieben oder höchst unklar sahen.

Diese Sätze aus der erotischen Philosophie mögen übrigens auch einen Beitrag zum Erweis der Möglichkeit einer solchen Wissenschaft aus ihrer Wirklichkeit liefern, um jenem immer wiederkehrenden, weil teils vom Unverstände, teils von der Bosheit immer neu wieder vorgebrachten Geschwätz von der Entbehrlichkeit der Wissenschaft in und für die Liebe ein Ende zu machen, da ja doch die Schlechtigkeit des nur irdischen so wie die Vortrefflichkeit des himmlischen Eros darin besteht, daß jener blind, dieser hellsehend ist.

Franz von Baader, Sämtliche Werke, 16 Bde., hrsg. von Franz Hoffmann, Julius Hamberger, Anton Lutterbeck, F. von Osten, Christoph Schlüter, Leipzig 1851 - 60 (Neudruck: Aalen1963), Bd. IV, 163-178


Anmerkungen

  1.  Man wird hiermit jener langweiligen Darstellung der Liebe als eines müßigen Genießens sowohl in der Asketik, als in der Romantik, los, und sieht ein, warum das Glück, das der noch Unschuldige genießt, nur erst ein zufälliges, unverdientes ist, welches also die Unsicherheit (die Entfallbarkeit aus ihm) bei sich hat. Dii, sagten die Alten, omnia laboribus (doloribus) vendunt.
  2.   In der altdeutschen Sprache wird Spann- oder Widerrede als gleichbedeutend genommen. - Und was das Wort Versöhnung betrifft, bedeutet dasselbe in Bezug auf die Stammliebe, d. i. auf die Gottesliebe, die Herstellung des bereits oben bemerkten söhnlichen oder kindlichen Verhältnisses des Geschöpfes zum Schöpfer im zweiten Stadium der Liebe.
  3. Insoferne die bildende Kunst, so wie die wahrhafte Cultur der Natur nur aus der Liebe der letzteren, und diese Liebe nur aus der Versöhnung hervorgeht, ist es wohl keinem Zweifel unterworfen, daß das religiöse oder mit Gott versöhnte Gemüt auch das erste Erfordernis zur wahren Kunst ist.
  4. Es ist wirklich sonderbar, wie unsere neueren Philosophen auf den Einfall kommen konnten, die Religion durch die Moral (den sogenannten moralischen Imperativ) entbehrlich machen, und das Heil der Menschen oder den Heiland nicht im Dativ, sondern lediglich in jenem Imperativ (des Gewissens) finden zu wollen. Als ob nicht dieser Imperativ, als die Forderung des Gläubigers, bloß mit der Insolvenz des Schuldners zugleich einträte, diese erweisend, aber nicht hebend, so wie im Organismus der Zwang oder die Not eben nur mit der Impotenz zugleich eintritt.
  5. Es würde ein verdienstliches Unternehmen sein, aus dem hier aufgestellten Standpunkte jene fehlgeschlagenen »Surrogate« dieser Vermittlung geschichtlich zu betrachten, zu welchen man — von dem einzig wahrhaft vermittelnden Prinzip, der Religion, Umgang nehmend — seine Zuflucht nahm; und wie hiebei die Regenten immer weiter von der Kunst sich entfernen, con amore zu regieren, so wie die Regierten, con amore zu dienen. Da übrigens das Bedürfnis einer Sache eintritt, sowie diese abhanden gekommen ist, so wie z. B. die Selbstsucht mit dem Verlust der wahren Selbstheit eintritt, so begreift man das rege Bestreben, sich zu konstituieren, welches in den Staaten mit dem Zugrundegegangensein ihres wahrhaft konstitutiven Prinzips zugleich eintrat. - Wenn nun schon unsere konstituierenden Staatskünstler (constitution mongers) sich die Zumutung verbitten, als ob sie einer anderen Spekulation nachhingen, als jener nach dem Kurszettel, so kann man sie doch nicht von dem Verdachte freisprechen, daß sie dem Fichtianismus huldigen, weil ihr Konstituieren des Staats ein fichtisches Sichselbersetzen ist.
  6. Diese Weise, regressiv von der Gegenwart aus die Vergangenheit (die Geschichte) gleichsam zu rekonstruieren, wird in neuerer Zeit zu sehr vernachlässigt, weswegen auch das Mißverständnis der wechselseitigen Entbehrlichkeit der Geschichte und der Spekulation so allgemein ist. Die Spekulation dringt durch die Scheingegenwart zur wahren durch, und da in dieser wahren Gegenwart die Zeitbewegung sowohl rückwärts als vorwärts ruht, so ruht und gründet auch die Geschichte in ihr. Der Seher (Prophet) sieht nur darum zugleich in die Zukunft wie in die Vergangenheit, weil ihm ein Blick in die Gegenwart aufgeschlossen wird, und weil alles Vergangene (Geschehene) in dieser Gegenwart noch ist, wie alle Zukunft in ihr schon ist. So nennt sich Gott bei Mose den Seienden (Gegenwärtigen) und in der Apokalypse »den, welcher war, ist und sein wird«, nämlich der, welcher gekommen ist und welcher kommen wird, ist derselbe, welcher da ist. Wenn du mir sagst, daß vor achtzehnhundert Jahren Christus in die Welt gekommen ist, so dient mir dieses Sagen dazu, daß ich Ihn in dieser Welt (in wie außer mir) suche und finde. Ich hätte Ihn nicht gesucht und gefunden ohne dein Sagen, aber dieses Sagen hätte mir nichts genutzt, falls ich Ihn nicht gesucht und gefunden hätte. Paulus argumentiert auf gleiche Weise, wenn er gegen die Leugner der Auferstehung des Christus sagt: Wäre Christus nicht auferstanden, so wäret ihr noch nicht sündenfrei. Nun aber findet ihr euch und seid sündenfrei, also beweiset euch diese euere Sündenfreiheit die Gegenwart des lebendigen Befreiers und euere Gemeinschaft mit Ihm.
  7. Die tiefste Herabwürdigung des Weibes in der Eva ist durch dessen Verherrlichung und Adelung in Maria (ave) überreichlich überwogen worden.
  8. Jede nicht mitgeteilte Freude wird dem Liebenden zur Pein, so wie jede mitgeteilte Pein in Trost und schier in Lust sich löst, was aber auch von der Liebe des Menschen zu Gott gilt, und den Ursprung des Gebets erklärt, weil die Freude des Menschen sich von selber im Dankgebet vervollständigt, so wie sein Schmerz im Bittgebet sich löst.
Home Suchen Vorträge Veranstaltungen Adressen Bücher Link hinzufügen
Diese Seite als PDF drucken Wolfgang Peter, Ketzergasse 261/3, A-2380 Perchtoldsdorf, Tel/Fax: +43-1-86 59 103, Mobil: +43-676-9 414 616 
www.anthroposophie.net       Impressum       Email: Wolfgang.PETER@anthroposophie.net
Free counter and web stats