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Phaidros

(Phaidros)

übersetzt von L. Georgii (1853)

Sokrates · Phaidros

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Sokrates: Also denn merke, o schöner Knabe, daß die vorige Rede von Phaidros war, des Pythokles Sohn, dem Manne aus Myrrhinus, die ich aber jetzt sprechen werde, von Stesichoros ist, des Euphemos  Sohn, aus Himera. Sie ist aber also zu sprechen:  Nein, nicht ist sie wahr, diese Rede, welche sagt,  daß auch, wenn ein Liebhaber da ist, man doch  dem Nichtverliebten sich mehr gefällig zeigen  müsse, weil ja jener im Wahnsinn, dieser bei Besinnung sei. Denn freilich, wäre es unbedingt richtig, daß der Wahnsinn ein Übel sei, so wäre das  schön gesprochen. Nun aber werden uns die größten der Güter durch Wahnsinn zuteil, freilich nur  einen Wahnsinn, der durch göttliche Gabe gegeben  ist. Denn die Prophetin in Delphoi und die Priesterinnen zu Dodona haben ja vieles und Schönes in  besonderen und öffentlichen Angelegenheiten unserer Hellas im Stande des Wahnsinns geleistet, in  dem der Besinnung aber noch weniges oder nichts.  Und wollten wir noch von der Sibylla und den anderen sprechen, welche, göttlicher Wahrsagekunst  mächtig, fürwahr vielen vieles vorausgesagt und  für die Zukunft berichtigt haben, so würden wir,  doch nur von Allbekanntem sprechend, allzu weitläufig werden. Das aber verdient als Zeugnis bemerkt zu werden, daß auch von den Alten die, die  die Namen festgesetzt haben, den Wahnsinn weder  für schändlich noch für einen Schimpf hielten.  Denn nicht würden sie dann die schönste Kunst,  durch welche die Zukunft erkannt wird, gerade mit  diesem Namen verflechtend Wahnsagekunst (maniken) genannt haben; sondern weil sie etwas  Schönes ist, wenn sie durch göttliche Schickung  entsteht, haben sie es so beliebt und festgesetzt.  Die Neueren aber haben unschönerweise das N mit  R vertauschend sie Wahrsagekunst (mantiken) geheißen. Haben sie ja auch die Zukunftskunde der  Besonnenen durch Vermittlung der Vögel und anderer Zeichen, sofern diese mittelst vernünftiger  Überlegung menschlichem Wissen (oiesei) die  Möglichkeit gewähren, voraus von etwas Kunde zu haben und vorher davon etwas zu sagen, Wissagekunst (oionoïstiken) genannt, welche nun die neueren mit dem Doppellaut vornehm tuend Weissagekunst (oionistiken) nennen. In demselben Maß nun, in welchem die Wahrsagekunst dieser Zeichenkunde, und zwar sowohl der Name dem Namen als  die Sache der Sache an Weihe und Würde vorgeht,  ist nach dem Zeugnis der Alten auch der Wahnsinn  edler als die Besonnenheit, der gottgewirkte als die  menschlich bedingte. Aber auch von Krankheiten  und den größten Mühsalen,

Von dem, was etwa altem Götterzorn entsprang In einzelnen Geschlechtern,

hat ein in diesen auftretender und das Verborgene  enthüllender Wahnsinn den Bedürftigen Erlösung  erfunden, indem er, zu Gebeten und Götterverehrungen seine Zuflucht nehmend und durch ihre Vermittlung in den Besitz von Reinigungen und heiligen Weihungen gekommen, den von ihm Berührten sowohl das jetzige als das künftige Leben sühnte  und so für den in echter Weise Wahnsinnigen und  Besessenen eine Lösung von seinen jetzigen Leiden erfand. Die dritte Art von Begeisterung und Wahnsinn ist die von den Musen, die, wenn sie eine zarte und unentweihte Seele ergreift und zu Festgesängen und anderer Dichtung aufregt und entzückt, tausend Taten der Alten verherrlichend, die Nachkommen  bildet. Wenn aber einer ohne diesen Musenwahnsinn zu den Pforten der Dichtkunst kommt, in der  Überzeugung, er könne auch wohl durch Kunst ein  guter Dichter werden, der wird teils selber als ein  Ungeweihter erachtet, teils wird seine Dichtung als  die des Besonnenen von der der Wahnsinnigen verdunkelt.

So vieles und mehr noch habe ich dir zu sagen von  den edeln Taten eines von Göttern kommenden  Wahnsinns. Daher wollen wir uns gerade davor ja  nicht fürchten, noch soll uns eine gewisse Rede  verwirren, die uns mit der Behauptung verblüffen  will, daß man den besonnenen Freund dem Gottbewegten vorziehen müsse; nein, dann erst soll sie  den Siegespreis davon tragen, wenn sie zu jenem  noch dieses erwiesen hat, daß nicht zum Heil dem  Liebenden und dem Geliebten die Liebe von Göttern gesendet werde. Hinwiederum aber haben wir  das Gegenteil zu beweisen, daß zum größten Segen solcher Wahnsinn von Göttern verliehen werde.  Der Beweis aber wird allerdings den starken Geistern unglaubhaft, den Weisen aber glaubhaft sein.  Zuvörderst nun muß man über die Natur der Seele,  die göttliche sowohl als die menschliche, indem  man teils ihre Leiden, teils ihr Tun ins Auge faßt,  das Wahre begreifen. Der Anfang des Beweises  aber ist folgender:

Jede Seele ist unsterblich; denn das stets Bewegte  ist unsterblich. Was aber ein anderes bewegt und  von einem anderen bewegt wird, das hat, sofern es  ein Aufhören der Bewegung hat, auch ein Aufhören des Lebens. Das sich selbst Bewegende allein also, sofern es nie sich selbst verläßt, hört nie auf, bewegt zu sein; aber auch für das andere, was bewegt wird, ist dieses Quelle und Anfang der Bewegung.  Der Anfang aber ist ungeworden. Denn alles Werdende wird notwendig aus dem Anfang, er selbst  aber schlechthin nicht aus einem Etwas; denn wenn der Anfang aus einem Etwas würde, so würde er ja  nicht aus dem Anfang werden. Da er aber ungeworden ist, ist er auch notwendig unvergänglich. Denn  wenn der Anfang untergegangen wäre, so könnte ja weder er selbst jemals aus Etwas, noch anderes aus ihm werden, da ja alles aus dem Anfang werden  muß. So ist also der Bewegung Anfang das sich  selbst Bewegende. Dieses aber kann weder untergehen noch erst werden; sonst würde der ganze  Himmel und alles Werden zusammenfallen und  stille stehen und nichts mehr vorhanden sein, woraus Bewegtes werden könnte. Hat man aber gesagt, daß das von sich selbst Bewegte unsterblich sei, so darf sich einer auch nicht schämen, es auszusprechen, daß eben dieses das Wesen und der Begriff  der Seele sei. Denn jeder Körper, dem das Bewegtwerden von außen zuteil wird, ist unbeseelt; der  aber, dem es von innen aus sich selbst zuteil wird,  ist beseelt, wie denn dieses die Natur der Seele ist.  Wenn sich aber das also verhält, daß nichts anderes das sich selbst Bewegende ist als die Seele, so muß die Seele notwendig sowohl ungeworden als unsterblich sein. Von ihrer Unsterblichkeit nun  genug!

Von ihrer Idee aber ist das zu sagen, wie sie beschaffen, allerdings Gegenstand einer durchaus  göttlichen und langwierigen, womit sie aber zu vergleichen, Gegenstand einer menschlichen und kürzeren Erörterung sei. In dieser Weise wollen wir  nun sprechen: So gleiche sie denn der zusammengewachsenen Kraft eines gefiederten Gespanns und seines Wagenlenkers. Der Götter Rosse und Wagenlenker nun sind alle sowohl selbst gut als von  guter Abkunft; die Art der anderen aber ist gemischt. Und zwar was uns betrifft, so lenkt der  Führer erstens ein Doppelgespann; sodann ist ihm  das eine der Rosse sowohl selbst edel und gut als  von solcher Abkunft, das andere aber sowohl von  gegenteiliger Abkunft als selbst das Gegenteil.  Schwierig und unbeholfen ist da notwendig die  Wagenlenkung bei uns.

Woher nun ferner für eine Lebensform die Benennung sterblich und unsterblich komme, muß man  zu sagen versuchen. Das All der Seelen versorgt  das unbeseelte All, es umwandelt nämlich den ganzen Himmel, jetzt in dieser, jetzt in anderer Gestalt  erscheinend. Eine Seele nun, die noch in vollkommener Weihe und befiedert ist, wandelt in der Höhe und durchwebt das Weltall; wenn sie aber das Gefieder gelassen, wird sie fortgetrieben, bis sie etwas Festes erfaßt, in dem sie nun, sich wohnhaft niederlassend und einen erdigen Leib annehmend, der  durch ihre Kraft bewegt sich selbst zu bewegen  scheint, als Ganzes genommen eine Lebensform  genannt wird und, als aus Seele und Leib zusammengefügt, den Beinamen sterblich erhält; die Bezeichnung unsterblich aber erhält sie nicht aus irgend einem Vernunftbegriff; sondern wir bilden, da wir einen Gott weder sehen noch zureichend begreifen, ihn uns eben in der Vorstellung ab als eine  unsterbliche Lebensform, die teils Seele, teils Körper ist, beides aber für ewige Zeit zusammengewachsen. Doch dies soll ja nun, wie es immer dem  Gotte gefällt, sich verhalten und so auch besprochen sein. Nun wollen wir aber die Ursache von  dem Verlust des Gefieders, durch die es einer Seele entfalle, ins Auge fassen. Sie ist aber folgende: Des Gefieders Kraft ist, das Schwere nach oben zu  führen, es emporhebend dahin, wo das Geschlecht  der Götter wohnt. Von allem Körperlichen hat es  am meisten teil an dem Göttlichen. Das Göttliche  aber ist das Schöne, das Weise, das Gute und was  sonst derartig ist. Von diesen nun nährt und kräftigt sich der Seele Gefieder am meisten; vom Häßlichen aber und Bösen und was sonst von jenem das Gegenteil ist, schwindet es und vergeht. Der große  Herrscher im Himmel nun, Zeus, zieht den  geflügelten Wagen treibend als erster aus, anordnend alles und besorgend; ihm aber folgt ein Heer  von Göttern und Dämonen, in elf Scharen geordnet. Denn Hestia bleibt allein im Götterhause; von den  andern aber führen die, welche in die Zahl der  Zwölf als herrschende Götter gereiht sind, ihre  Schar in der Reihe, in der jeder gereiht ist.

Da gibt es nun viele und selige Schauspiele und  Bewegungen innerhalb des Himmels, die der beglückten Götter Geschlecht ausführt, indem jeder  das Seine verrichtet. Es folgt aber, wer jedesmal  will und kann; denn der Neid steht draußen vor  dem göttlichen Reigen.

Wenn sie aber nun zum Schmaus und Gelage  gehen, haben sie gegen die höchste unterhimmlische Wölbung schon einen steilrechten Weg. Da  fahren nun zwar die Götterwagen, wohlgezügelt  das Gleichgewicht haltend, leicht hin, die anderen  aber mühsam. Denn das mit Schlechtigkeit behaftete Roß, wenn es von einem der Wagenlenker nicht  gut genährt worden ist, beugt sich und drückt  schwerfällig zur Erde hinab. Da ist nun wahrlich  einer Seele die äußerste Mühe und Anstrengung bereitet. Nämlich diejenigen Seelen zwar, welche unsterbliche genannt werden, gehen, wenn sie oben  sind, hinaus und stehen nun auf dem Rücken des  Himmels; hier stehend aber führt sie der  Umschwung herum; sie aber schauen, was außerhalb des Himmels ist.

Den überhimmlischen Ort aber hat noch nie einer  der Dichter hienieden besungen, noch wird ihn je  einer nach Würdigkeit besingen. Es verhält sich  aber also damit: Denn wagen wenigstens muß man, das Wahre zu sagen, zumal wer von der Wahrheit  spricht. Das farblose und gestaltlose und unberührbare wesenhaft seiende Wesen nämlich ist nur für  den Lenker der Seele, den Geist, schaubar, jenes  Wesen, in Beziehung auf das die Gattung der wahren Wissenschaft diesen Ort inne hat. Und nun, da  ja das Geistesleben eines Gottes und einer jeden  Seele, welche das ihr Angemessene aufzunehmen  bestrebt ist, von Geist und lauterer Wissenschaft  sich nährt, wird sie nach verflossener Zeit das Seiende zu sehen froh, und das Wahre schauend wird  sie genährt und ergötzt, bis sie der Umschwung im  Kreislauf wieder an den vorigen Ort herumführt.  Auf diesem Umzug aber erblickt sie die Gerechtigkeit selbst, erblickt die Besonnenheit, erblickt die  Wissenschaft, nicht die, der ein Werden zukommt,  nicht die, die immer eine andere ist, je nachdem sie  an einem anderen der Gegenstände haftet, die wir  jetzt seiende nennen, - sondern die andern, was das wesenhafte Sein ist, haftende Wissenschaft; und  nachdem sie das übrige ebenso wesenhaft Seiende  geschaut und gekostet hat, sinkt sie wieder in das  Innere des Himmels und kommt nach Hause zurück. Wenn sie aber angekommen, stellt der Wagenlenker die Rosse an die Krippe, wirft ihnen Ambrosia vor und tränkt sie dazu mit Nektar. Und dieses nun ist das Leben der Götter!

Was aber die anderen Seelen betrifft, so erheben  einige, die ihrem Gott am rüstigsten folgten und  gleich kommen, ihres Wagenlenkers Haupt hinaus  in den äußeren Raum und werden durch den Umschwung mit herumgeführt, obgleich von den Rossen verwirrt und mühsam das Seiende erblickend:  andere aber erheben sich bald, bald sinken sie  unter, und bei dem Ungestüm der Rosse sehen sie  zwar einiges, anderes aber nicht. Die übrigen aber,  nach dem Oberen strebend, folgen zwar alle; indessen, da ihnen die Kraft fehlt, werden sie in die  Tiefe untersinkend zusammen umgetrieben, einander tretend und drängend, indem eine der anderen  voranzusein sich bemüht. Da gibt es nun Verwirrung und Wetteifer und Kampfschweiß im höchsten Maß, wobei dann durch Schlechtigkeit der Wagenlenker viele gelähmt werden, viele viel Gefieder  einbüßen, alle aber, nachdem sie viele Mühsal gehabt, als Ungeweihte, die nicht zum Schauen des  Seienden gelangt sind, zurückkommen und zurückgekommen im Gebiet der Meinung ihre Nahrung  finden.

Was nun die Quelle betrifft, woraus dieser große  Eifer entspringt, zu sehen, wo das Gefilde der  Wahrheit ist, so ist einmal die dem besten Teile der Seele angemessene Weide auf der dortigen Wiese  zu finden; sodann wird das Gefieder, wodurch die  Seele der Schwere entledigt sich erhebt, seiner  Natur gemäß auf ihr genährt. Auch ist dieses eine  Ordnung der Adrasteia: welche Seele als Gefährtin  ihres Gottes von dem Wahren etwas sieht, die soll  bis zum anderen Umlauf unverletzt sein, und wenn  sie dieses immer vollbringen kann, soll sie immer  unbeschädigt sein. Wenn sie aber, weil ihr die  Kraft fehlt nachzufolgen, das Wahre nicht sieht  und, durch irgend ein Mißgeschick, das sie betrifft,  von Vergessenheit und Schlechtigkeit erfüllt, niedergedrückt wird und niedergedrückt das Gefieder  läßt und auf die Erde fällt: dann ist es Gesetz, eine  solche Seele bei der ersten Geburt noch in keine  tierische Natur einzupflanzen, sondern die, welche  noch am meisten gesehen, in den Lebenskeim eines Mannes, der ein Philosoph oder ein Schönheitsfreund oder ein dem Dienst der Musen und der  Liebe Ergebener werden wird, die zweite aber in  den eines gesetzmäßigen Königes oder eines kriegerischen und zum Herrschen bestimmten Mannes,  die dritte in den eines Staatsbeamten, eines  Wirtschafters oder eines Geldmannes, die vierte in  den eines Mannes, der mit anstrengenden Leibesübungen oder mit irgend einer Art ärztlicher Körperpflege sich befassen wird; die fünfte wird einen  die Wahrsagekunst und die heiligen Weihen betreffenden Lebensstand haben; der sechsten wird ein  dichterischer oder ein anderer mit Nachahmen sich  abgebender Berufpassen, der siebenten der des  Handwerkers oder des Landmanns, der achten der  des Sophisten oder Volksschmeichlers, der neunten der des Tyrannen.

Unter allen diesen aber empfängt nun, wer sein  Leben gerecht führt, ein besseres Los, wer aber ungerecht, ein schlimmeres. Dahin nämlich, von wo  jede Seele herkommt, gelangt sie nicht wieder in  der Zeit von 10000 Jahren; denn vor Ablauf eines  solchen Zeitraums wird sie nicht wieder befiedert,  die Seele desjenigen ausgenommen, der ohne Trug  philosophiert oder mit Philosophie der Liebe lebt.  Diese aber kehren im dritten tausendjährigen  Umzug, wenn sie dreimal nach einander diesen Lebensstand wählen und dadurch befiedert worden  sind, im dreitausendsten Jahre zurück. Die übrigen  aber, wenn sie das erste Leben vollendet haben,  kommen vor Gericht: wenn sie aber gerichtet worden sind, so kommen einige in die Strafplätze unter der Erde und büßen ihr Urteil; andere aber werden  durch das Urteil an einen Ort des Himmels, der  Schwere entledigt, erhoben und führen dort ein  Leben dessen würdig, das sie in Menschengestalt  gelebt haben. Im tausendsten Jahre aber gelangen  beide Klassen zur Auslosung und Wahl des zweiten Lebensstandes, und jede wählt nun, welchen sie will. Da gelangt nun eine menschliche Seele auch  wohl in den Lebensstand eines Tieres, und aus  einem Tier einer, der ehedem ein Mensch gewesen,  wieder in einen Menschen. Nur eine solche Seele,  die die Wahrheit freilich gar nie gesehen hat, wird  nicht in diese Gestalt kommen. Denn der Mensch  muß sie begreifen in der Form der Idee, wie man es ausdrückt, die, aus einer Vielheit sinnlicher Wahrnehmungen sich ergebend, durch logisches Denken  zur Einheit zusammengefaßt wird. Das aber ist  eben Wiedererinnerung an jenes, was einst unsere  Seele sah, als sie mit ihrem Gott wandelte, über  das, was wir jetzt als Sein bezeichnen, hinwegsehend und sich nach dem wesenhaft Seienden emporrichtend. Daher wird denn auch gerechterweise  allein des Philosophen Geist befiedert; denn er verweilt so viel als möglich ununterbrochen im Erinnern bei jenem, bei dem sein Gott verweilt, um  göttlich zu sein. Welcher Mann aber nun solche Erinnerungen sich aufrechte Weise zu Nutzen macht,  der allein empfängt, als ununterbrochen mit  vollkommenen Weihen geweiht, wahrhaft die  Weihe der Vollkommenheit. Indem er aber der  menschlichen Bestrebungen sich entschlägt und bei dem Göttlichen verweilt, wird er zwar von der  Menge als ein Verrückter gescholten; daß er aber  ein göttlich Begeisterter ist, bleibt der Menge verborgen.

Und hier ist nun der Ort, wo die ganze Rede von  der vierten Art des Wahnsinns eintritt, da einer,  wenn er beim Anblick der Schönheit hienieden, der wahrhaftigen sich wieder erinnernd, sich befiedert  und neu sich befiedernd wieder aufzufliegen verlangt, aber die Kraft dazu nicht findet, einem Vogel gleich nach oben blickend und um das Untere sich  nicht kümmernd, - da ein solcher, sage ich, die Beschuldigung erfährt, daß er im Zustande des Wahnsinns sich befinde - die Rede also davon, daß unter allen Arten der Begeisterung gerade diese die beste  und von der besten Abkunft sei sowohl für den, der sie selbst inne hat, als auch für den, der in Gemeinschaft mit ihr tritt, und daß, wer dieses Wahnsinns  teilhaftig die Schönen liebt, ein Liebhaber genannt  wird. - Wie nämlich schon gesagt worden ist, jede  Menschenseele hat zwar ihrer Natur gemäß das  Seiende geschaut, sonst wäre sie nicht in diese Lebensform gekommen. Aber von dem Diesseitigen  sich an jenes wieder zu erinnern, ist nicht leicht für  jede: nicht für diejenigen, die damals das Jenseitige nur flüchtig sahen, noch für diejenigen, die, hierher herabgefallen, Mißgeschick hatten, so daß sie,  durch irgendwelche gesellschaftliche Verbindungen zum Unrecht verleitet, das Heilige, das sie damals  gesehen, vergessen haben. Wenige fürwahr bleiben übrig, denen das Vermögen des Erinnerns noch in  genügendem Maße zu Gebot steht. Diese aber,  wenn sie irgend ein Abbild des Jenseitigen sehen,  werden gewaltig aufgeregt und sind ihrer selbst  nicht mehr mächtig; was aber dieser leidenschaftliche Zustand ist, wissen sie nicht, weil ihre Wahrnehmung ihn nicht genügend durchdringt. Von der  Gerechtigkeit nun zwar und der Besonnenheit und  dem, was sonst für Seelen wertvoll ist, wohnt kein  Lichtglanz in ihren Abbildern hienieden; sondern  durch trübe Werkzeuge schauen wenige nur mühsam, indem sie mit ihren Bildern in Berührung  kommen, die Gattung des Abgebildeten. Die  Schönheit aber war damals leuchtend zu sehen, als  mit dem beglückenden Reigen wir im Gefolge des  Zeus, andere in dem eines anderen der Götter eines  seligen Anblicks und Schauens genossen, und als  wir in diejenige der Weihen eingeweiht waren, welche die seligste zu nennen heilige Pflicht ist, und  die wir feierten, selbst noch fehllos und unberührt  von den Übeln, die in späterer Zeit auf uns  warteten, dabei aber fehllose und lautere und wandellose und beglückende Gesichte mit geweihtem  und priesterlichem Auge in reinem Glänze schauend, als Reine selbst und nicht eingekerkert in diesen Körper, wie wir das jetzt nennen, was wir mit  uns, der Auster gleich angebunden, herumtragen.  Dieses nun sei der Erinnerung gewidmet, um deren  willen in Sehnsucht nach dem Damaligen jetzt ausführlicher geredet worden ist!

Was aber die Schönheit betrifft, so stand sie, wie  wir gesagt haben, unter jenen befindlich in lichtem  Glänze; und auch hierher gekommen, fassen wir sie mit dem hellsten unserer Sinne auf, als am hellsten  schimmernd. Das Auge nämlich kommt uns als der  schärfste der Sinne des Körpers zu; doch wird die  Weisheit nicht damit erblickt. Denn gar wunderbare Liebestriebe würde sie bereiten, wenn ein  solch helles Bild von ihr in die Augen fallend bereitet wäre, und so auch das andere Liebenswürdige. Der Schönheit allein aber ist nun dieses teilgeworden, so daß sie das Sichtbarste und das Liebreizendste ist.

Zwar nun wer nicht ein noch Neugeweihter ist,  oder wer dem Verderben schon verfallen, den zieht  es nicht mit scharfem Drange von hier nach dort zu  der Schönheit selbst, wenn er schaut, was hienieden ihre Benennung trägt. Sein Anblick stimmt ihn  daher nicht zur Verehrung; sondern der Lust fröhnend, sucht er nach tierischer Art den Trieb des Geschlechts und der Begattung zu befriedigen und  fürchtet und schämt sich nicht, der Lust in zügelloser Annäherung wider die Natur nachzujagen. Wer  aber noch frisch geweiht ist und das Damalige vielfältig geschaut hat, der, wenn er ein gottähnliches,  die Schönheit wohl abbildendes Antlitz sieht oder  eine solche Körpergestalt, wird zuerst von Schauer  ergriffen, und es überkommt ihn etwas von den damaligen Beängstigungen; sodann aber, wenn er es  anblickt, verehrt er es wie einen Gott, und fürchtete er nicht den Schein eines übermäßigen Wahnsinns,  er würde gar dem Liebling opfern wie einem Götterbild und einem Gott. Nun er ihn aber gesehen,  ergreift ihn, wie nach dem Fieberschauer, eine veränderte Stimmung, Schweiß und ungewohnte  Hitze. Indem er nämlich durch die Augen den Ausfluß der Schönheit in sich aufnimmt, wird er von  einer Erwärmung durchdrungen, in deren befeuchtendem Zug die Keimkraft des Gefieders sich löst.  Infolge dieser Erwärmung aber schmilzt um den  Keim desselben das, was vorlängst in Härte sich  zusammenschließend ihn zu sprossen verhindert  hat. Indem aber nun Nahrung zuströmt, schwillt  und strebt aus der Wurzel hervorzukeimen des Gefieders Kiel um die ganze Gestalt der Seele; denn  ehedem war sie ganz befiedert! Dabei nun pocht  und gärt ihr ganzes Wesen, und was das Leiden der Zahnenden mit den Zähnen ist, wenn sie zuerst hervorbrechen, ein Jucken und Stechen im Zahn- fleisch, dasselbe fürwahr leidet die Seele dessen,  dem das Gefieder zu keimen anfängt; es pocht und  juckt und kitzelt sie, indem ihr das Gefieder keimt.  Zwar nun, wenn sie auf die Schönheit des Lieblings blickt und die von dieser sich losreißenden  und zur Liebe reizenden Teile, welche ja deshalb  Liebreiz genannt werden, wenn sie, sage ich, diesen Liebreiz in sich aufnehmend, von jenem lösenden  Wärmezug durchströmt wird, so erholt sie sich  vom Schmerz und fühlt sich wohl. Wenn sie aber  einsam ist und vertrocknet, so dorren die Ränder  der Öffnungen da, wo das Gefieder hervorbricht,  zusammen und sperren, sich verschließend, den  sprossenden Trieb des Gefieders ab. Dieser aber,  innen mit dem Liebreiz abgesperrt, hüpft nun  gleich dem Aderschlag und sticht gegen jedwede  Öffnung, auf die er trifft, so daß die ganze Seele  ringsum gestachelt rast und voll Schmerzen ist.  Weil sie aber die Erinnerung des Schönen in sich  trägt, fühlt sie sich auch wieder wohl. Indem aber  so die Eindrücke von beidem sich mischen, wild ihr unheimlich über der Seltsamkeit dieses leiden- schaftlichen Zustandes, und da sie sich nicht zu  helfen weiß, gerät sie in Wut, und wahnsinnig, wie  sie ist, kann sie weder bei Nacht schlafen, noch bei  Tag bleiben, wo sie auch sein mag, läuft aber sehnsuchtsvoll überall hin, wo sie den sehen zu können  meint, der die Schönheit besitzt. Sobald sie ihn  aber sieht und sich neuen Liebreiz zuleitet, löst sie  das vorhin Zusammengeschrumpfte auf, und wieder Atem schöpfend, entledigt sie sich der Stacheln und Schmerzen und genießt wieder im jetzigen Augenblick jene süßeste Lust. Deswegen verläßt sie ihn  auch freiwillig nicht, noch schätzt sie jemanden  höher als den Schönen: sondern Mutter und Brüder und alle Genossen vergißt sie und schlägt es für  nichts an, wenn Hab und Gut fahrlässigerweise  verloren geht; unbekümmert aber um Bewahrung  von Sitte und Anstand, womit sie sonst sich zierte,  ist sie bereit, ein dienstbares Leben zu führen und,  wo er es irgend gestattet, nur so nahe als möglich  bei dem Gegenstand ihrer Sehnsucht zu ruhen.  Denn neben dem, daß sie von Verehrung erfüllt ist, findet sie auch in ihm, der die Schönheit besitzt,  allein einen Arzt für die größten Mühsale. Diesen  leidenschaftlichen Zustand aber, o schöner Knabe,  an den ja meine Rede gerichtet ist, heißen die Men- schen Eros; hörst du aber, wie ihn die Götter nennen, so wirst du mit Recht ob dem jugendlichen  Mutwillen lachen. Es sagen nämlich, meine ich,  einige der Homeriden aus den geheimen Gesängen  zwei Verse auf den Eros, von denen der zweite sehr ausgelassen und nicht eben wohllautend ist. Sie  singen nämlich:

Den nun nennen die Sterblichen zwar den geflügelten Eros, Pteros aber die Götter vom Sinn betörenden Flattern.

Diesem nun kann man Glauben schenken oder auch nicht; jedenfalls aber verhält es sich wirklich in  jener Weise mit dem leidenschaftlichen Zustand der Liebenden und der Ursache davon. Wer nun von den Gefährten des Zeus ergriffen  wird, der vermag die Pein des Flügelnamigen  standhafter zu tragen. Die aber, welche des Ares  Diener waren und mit ihm umwandelten, sind,  wenn sie vom Eros gefesselt werden und von dem  Geliebten in etwas gekränkt zu sein meinen, mordlustig und bereit, sich selbst und den Liebling hinzuopfern. Und so, je nach der Art seines Gottes, zu  dessen Reigen er gehörte, lebt jeder, ihn ehrend und nach Kräften nachahmend, solange er noch unverdorben ist und das erste Dasein hienieden verlebt,  und auf dieselbe Weise bestimmt er auch seinen  Umgang sowohl mit den Geliebten als anderen  Leuten und sein Betragen gegen sie. So nun wählt  auch jeder unter den Schönen sich den Gegenstand  seiner Liebe nach seiner Art aus, und als wäre ihm  jener selbst ein Gott, rüstet er ihn sich zu und  schmückt er ihn aus wie ein Götterbild, es zu ehren und zu feiern. Die dem Zeus Angehörigen suchen  also nun zu ihrem Geliebten eine Zeusseele. Sie  sehen daher darauf, ob er nach seiner Natur ein  Philosoph und zum Herrschen tüchtig sei, und  wenn sie ihn gefunden und lieb gewonnen haben,  tun sie alles, damit er es werde. Wenn sie sich nun  früher nicht auf solche Bestrebung eingelassen  haben, so versuchen sie es jetzt, indem sie teils lernen, woher sie irgend können, teils selbst der Sache nachgehen. Danach aber spürend, sind sie gar wohl imstande, von sich selbst die Natur ihres Gottes  aufzufinden wegen der Nötigung, der sie unverrückt unterliegen, auf den Gott zu blicken; und  indem sie ihn im Erinnern erfassen, nehmen sie,  von Begeisterung erfüllt, seine Sitten und Bestrebungen an, soweit es einem Menschen möglich ist,  eines Gottes teilhaftig zu werden. Und indem sie  hiervon denn den Geliebten als die Ursache be- trachten, huldigen sie ihm noch mehr; und wenn sie aus dem Borne des Zeus schöpfen, wie die Bakchantinnen, so lassen sie es auf des Geliebten Seele überfließen und machen ihn so viel als möglich  ihrem Gott ähnlich. Hinwiederum diejenigen, die  im Gefolge der Hera waren, suchen einen Königlichen, und wenn sie ihn gefunden, tun sie an ihm  ganz dasselbe. Die aber, die dem Apollon oder  welchem der Götter sonst angehören, suchen, dem  Gotte nachgehend, sich einen Liebling, der also geartet ist, und wenn sie ihn gewonnen haben, leiten  sie ihn, soweit es in eines jeden Macht liegt, zu des Gottes Bestrebung und Idee hin, indem sie sowohl  selbst ihn nachahmen, als den Liebling dazu überreden und nach diesem Maße bilden; und, ohne  weder Neid noch unedle Scheelsucht gegen den  Liebling zu hegen, sondern weil sie über alles bemüht sind, ihn so viel als möglich zu allseitiger  Ähnlichkeit mit ihnen selbst und dem Gott zu leiten, den sie ehren, darum handeln sie so. Ein Eifer  also von wahrhaft Liebenden, und wenn sie bezwecken, um was sie sich beeifern, eine heilige  Weihe, wie ich sage, schön und beglückend, ist es,  was so durch den von Liebe wahnsinnigen Freund  dem Freunde zuteil wird, wenn er gewonnen ist.  Gefesselt aber wird der Gewonnene auf folgende  Weise:

Wie ich im Anfang dieses Mythos jede Seele dreifach geteilt habe, nämlich in zwei rosseähnliche  Gestalten und eine dritte, den Wagenlenker darstellende, so soll es uns auch jetzt noch dabei bleiben.  Von den Rossen aber ist ja, sagen wir, das eine gut, das andere nicht: worin aber die Tugend des guten  und die Schlechtigkeit des schlechten bestehe, das  haben wir nicht erörtert, ist aber nun zu besprechen. Das nun von den beiden, welches von schönerer Beschaffenheit ist, ist seiner Gestalt nach aufrecht gebaut und gut gegliedert, hat hohen Nacken,  gebogene Nase, weiße Farbe, schwarze Augen, vereinigt Ehrliebe mit Besonnenheit und Schamhaftigkeit, und als ein Freund wahrer Denkweise wird es  ohne Schläge nur durch Befehl und Wort gelenkt.  Das andere dagegen ist gebeugt, plump und  schlecht gebaut, von dickem Nacken, kurzem Hals, stumpfer Nase, schwarzer Farbe, blauäugig mit  Blut unterlaufen, ein Freund von Trotz und Anmaßung, um die Ohren zottig, taub, kaum der Peitsche und dem Stachel gehorsam. Wenn nun der Wagenlenker, indem er das geliebte Antlitz sieht, durch  die ganze Seele bei der Wahrnehmung erglühend,  von Kitzel und Sehnsucht gestachelt wird, so hält  das dem Wagenlenker gern folgende Roß, wie  immer so auch jetzt von Scham bewältigt, selbst an sich, nicht auf den Geliebten loszurennen; das andere aber kehrt sich nicht mehr weder an Stachel  noch Peitsche des Wagenlenkers, sondern springend treibt es mit Gewalt fort, und dem Mitgespann und dem Wagenlenker alle mögliche Not  bereitend, zwingt es sie, zu dem Liebling zu gehen  und gegen ihn der Vergünstigung aphrodisischer  Gefälligkeit Erwähnung zu tun. Anfangs indessen  leisten beide voll Unwillen Widerstand, als sollten  sie zu etwas Argem und Gesetzwidrigem genötigt  werden; endlich aber, wenn des Übels kein Ende  ist, gehen sie fortgezogen hin, nachgebend und ver- sprechend, sie wollen das Verlangte tun. Nun sind  sie bei ihm, nun sehen sie das strahlende Angesicht des Lieblings.

Indem es aber der Wagenlenker sieht, wird seine  Erinnerung zu dem Wesen der Schönheit fortgeführt, und wieder sieht er sie mit der Besonnenheit  vereint auf unentweihtem Grunde stehen. Bei diesem Anblick aber erbebt er und beugt sich, von  Verehrung erfüllt, rückwärts nieder, und zugleich  wird er genötigt, die Zügel so stark nach hinten anzuziehen, daß er beide Rosse auf die Hüften setzt,  das eine gutwillig, weil es nicht Widerstand leistet, das trotzige aber höchst widerwillig. Indem sie nun beide weiter zurückgehen, gerät das eine so sehr in  Beschämung und Entsetzen, daß es die ganze Seele mit Schweiß benetzt; das andere aber, sobald es  den Schmerz los ist, den es von dem Zaum und  dem Sturz bekommen, hat kaum wieder Atem geschöpft, so beginnt es voll Zorn zu schmähen und  den Wagenlenker und seinen Mitgespann auf alle  Weise schlecht zu machen, als wären sie aus Feigheit und Unmännlichkeit von ihrer Stellung und  ihrem Versprechen gewichen. Und wiederum sie  drängend, gegen ihren Willen hinzugehen, gibt es  ihnen kaum nach, wenn sie bitten, es auf ein anderes Mal zu verschieben. Ist aber die verabredete  Zeit gekommen, so erinnert es sie, die sich anstellen, als dächten sie nicht mehr daran, wendet alle  Gewalt an, wiehert, zieht sie fort und nötigt sie, mit den nämlichen Reden zu dem Liebling zu kommen; und wenn sie ihm nahe sind, so zieht es, sich vorwärts beugend, den Schweif emporsträubend und in den Zaum beißend, schamlos weiter. Der Wagenlenker aber, in noch stärkerem Grade von dem vorigen Gemütszustand ergriffen, wie einer, der von  den Schranken auslaufend sich rückwärts beugt,  zerrt den Zaum des trotzigen Rosses mit noch stärkerer Gewalt aus dem Gebiß nach hinten, strengt  ihm die schmähsüchtige Zunge und die Backen an  bis aufs Blut und bereitet ihm Schmerzen, indem er ihm Schenkel und Hüften zur Erde niederzwingt.  Wenn aber das schlimme Roß dieselbe Behandlung öfters erfährt und von seiner trotzigen Wildheit  läßt, so folgt es gedemütigt schon der vernünftigen  Leitung des Wagenlenkers, und wenn es den Schönen sieht, vergeht es vor Furcht. Und so kommt es,  daß die Seele des Liebhabers nun dem Liebling  verschämt und verschüchtert folgt.

Dieser nun, da er sich ja fast einem Gott gleich alle Arten von Huldigung dargebracht sieht, dargebracht von einem, der sich nicht als ein Liebender  nur anstellt, sondern in Wahrheit diese Leidenschaft hegt, wie er ja selbst schon durch den Zug  der Natur befreundet gestimmt ist, schließt mit dem Huldigenden einen Freundschaftsbund. Und wenn  er auch etwa vordem von seinen Gespielen oder irgend anderen Leuten, welche sagten, es sei eine  Schande, einem Liebenden sich zu nähern, aufgebracht worden wäre und er deshalb den Liebenden  zurückgestoßen hätte, so bringt ihn doch schon im  Verlauf der Zeit seine Jugend und die Macht der  Notwendigkeit dazu, jenem ein Verhältnis des Umgangs zu gestatten. Denn nimmer ja ist es vom Geschicke bestimmt, daß der Schlechte dem Schlechten freundlich noch daß der Gute dem Guten nicht  freundlich sei. Indem er es aber nun gestattet und  Gespräch und Umgang sich gefallen läßt, so regt  das im unmittelbaren Verkehr sich äußernde Wohlwollen des Liebenden den Geliebten mächtig auf,  indem er es bald durchfühlt, daß alle seine anderen  Freunde und Angehörigen zusammengenommen  verglichen mit dem gottbeseelten Freunde ihm so  gut als keine Freundschaft gewähren. Wenn er aber nun dieses Verhältnis längere Zeit fortsetzt, in  seiner Nähe verweilt und dabei auf den Ringplätzen und bei anderen Anlässen des Umgangs in persönliche Berührung mit ihm tritt, dann leitet sich  der Quell jenes Stroms, den Zeus, als er den Ganymedes liebte, Liebreiz nannte, in Fülle dem Liebhaber zu, so daß er teils in diesen eindringt, teils von  ihm, wenn er selbst erfüllt ist, wieder nach außen  strömt; und wie der Wind oder Schall, von glatten  und festen Körpern abspringend, dahin zurückgetrieben wird, von wo er ausging, so kommt die  Strömung der Schönheit, durch das Auge, wo sie  den natürlichen Gang zur Seele hat, sich fortlei- tend, wieder in den Schönen zurück mit neubefiedernder Kraft; und ihr feuchter Zug löst die Mündungen des Gefieders, weckt den Trieb der Befiederung und erfüllt nun auch wieder die Seele des Geliebten mit Liebe. Er liebt zwar nun, aber wen, ist  ihm unklar; und weder weiß er, wie ihm geschehen, noch kann er es sagen, sondern wie einer, der von  einem anderen die Augenkrankheit geerbt hat, weiß er die Ursache nicht zu sagen; daß er aber in dem  Liebenden wie in einem Spiegel sich selbst erblickt, ist ihm verborgen. Und zwar wenn dieser  anwesend ist, wird er geradeso wie dieser von  Schmerz frei; wenn er aber abwesend ist, so sehnt  er sich wieder geradeso, wie er ersehnt wird, der  Liebe Abbild, die Gegenliebe, in sich tragend; er  aber sagt und glaubt nicht, daß sie Liebe, sondern  daß sie Freundschaft sei. Indessen sehnt er sich fast ebenso wie dieser, nur in schwächerem Grade, ihn  zu sehen, zu berühren, zu küssen, zu umarmen,  und, wie es ja natürlich ist, tut er es auch in der  Folge bald. Beim Umarmen nun hat das unbändige  Roß des Liebhabers mit dem Wagenlenker ein  Wort zu sprechen und fordert für die vielen Mühsale ein bißchen Genuß; das des Lieblings aber hat  zwar nichts zu sagen, aber von Empfindung gesteigert, und ohne sich klar zu sein, umfaßt es den  Liebhaber und küßt ihn, ihn als seinen wohlwollendsten Freund begrüßend, und wenn sie sich umarmen, vermöchte er für seinen Teil sich nicht zu  weigern, dem Liebenden zu willfahren, wenn er ihn darum bäte. Hiergegen aber leistet wieder der Mitgespann mit dem Wagenlenker Widerstand, von  Schamgefühl und Vernunft geleitet.

Und nun, wenn die besseren vernünftigen Seelenkräfte, von welchen die Richtung zu geregeltem  Wandel und zur Philosophie ausgeht, obsiegen, so  führen sie schon hienieden ein seliges und einhelliges Leben, indem sie, sich selbst beherrschend und  geordnet, wie sie sind, dasjenige untertänig erhalten, woran die Schlechtigkeit der Seele, das aber  frei erhalten, woran ihre Tugend haftet. Sterben sie  aber, so haben sie ja, befiedert und leicht  geworden, von jenen drei Ringkämpfen, diesen  wahrhaft Olympischen Spielen, schon in einem den Sieg gewonnen, ein Glück so groß, daß weder eine  Gabe menschlicher Besonnenheit noch göttlichen  Wahnsinns seinen Wert für den Menschen überbieten kann.

Wenn sie aber einen ungebildeteren und unphilosophischen, dabei aber doch ehrliebenden Wandel  führen, so mag es wohl einmal geschehen, daß die  beiden unbändigen Gespanne im Zustande der Berauschung oder einem anderen sorglosen Augenblick die Seelen unbewacht überraschen, sie zusammenführen und das, was die Menge als das seligste Teil betrachtet, erwählen und verwirklichen;  und haben sie es einmal verwirklicht, so machen  sie sich dessen schon auch fernerhin teilhaftig,  doch sparsam, da ihr Tun ja etwas betrifft, das  nicht eben des ganzen Geisteslebens Billigung hat.  Als Freunde nun bringen zwar auch diese, doch  weniger als jene, ihr Leben mit einander zu, sowohl solange die Liebe dauert, als wenn sie darüber hinaus sind, indem sie glauben, die höchsten Gewährschaften gegenseitig teils gegeben, teils empfangen  zu haben, so daß sie es für Sünde achten müßten,  diese wieder einzulösen und jemals in Feindschaft  zu geraten. Im Sterben aber gehen sie zwar noch  unbefiedert, aber von dem Triebe, sich zu  befiedern, durchdrungen, aus dem Körper, so daß  sie doch einen nicht geringen Preis von ihrem Liebeswahnsinn davontragen. Denn in die Finsternis  und den Wandel unter der Erde zu kommen, ist gesetzlich denen nicht mehr bestimmt, welche schon  den himmlischen Wandel begonnen haben, sondern ein lichtes Leben zu führen und glücklich zu sein,  mit einander wandelnd und der Liebe wegen, wenn  sie es werden, zu gleicher Zeit befiedert zu werden. Dieses, o Knabe, so Großes und so Göttliches wird dir die von einem Liebhaber gewidmete Freundschaft schenken. Die von dem Nichtverliebten ausgehende Vertraulichkeit aber, die, mit sterblicher  Besonnenheit gemischt, auch nur Sterbliches und  Kärgliches auszuteilen hat, wird, indem sie in der  geliebten Seele eine von der Menge als Tugend gepriesene unedle Sinnesart erzeugt, ihr das Los bereiten, noch neuntausend Jahre auf der Erde umher  unstet und unter der Erde vernunftlos zu weilen.  Dieser Widerruf sei dir, geliebter Eros, gewidmet  und als Schuld bezahlt, der schönste und beste  nach unserem Vermögen, und der notgedrungen des Phaidros wegen da und dort, zumal in der Ausdrucksweise, etwas dichterisch abgefaßt wurde.  Mir aber für das Frühere Verzeihung, für das Jetzige Gunst beweisend, wollest du gütig und gnädig die Liebeskunst, die du verliehen, im Zorne weder  entziehen noch schwächen; verleihe mir aber noch  viel mehr als jetzt, den Schönen wert zu sein!  Haben wir aber in der früheren Rede etwas dir  Mißliebiges gesagt, Phaidros und ich, so rechne es  dem Vater der Rede, dem Lysias zu, laß ihn mit  derartigen Reden aufhören und lenke ihn, wie sein  Bruder Polemarchos sich dahin gelenkt hat, zur  Philosophie, damit auch dieser sein Liebhaber hier  nicht mehr nach beiden Seiten hänge, wie jetzt,  sondern sein Leben ungeteilt dem Eros und philosophischen Reden widme!

Phaidros: Ich bete mit dir, o Sokrates, daß dieses,  wofern es so besser für uns wäre, geschehen  möge! - Deine Rede aber erfüllte mich schon lange mit Bewunderung, wie viel schöner sie dir gegen  die frühere geraten ist, so daß ich besorgt bin, ob  Lysias mir nicht armselig vorkommen werde, wenn er allen/ falls auch Lust bekäme, dieser durch eine  andere die Spitze zu bieten. Denn auch kürzlich, o  Bewundernswürdiger, hat von den Staatsmännern  einer, der eine Schmährede gegen ihn hielt, ihm  eben dieses zum Vorwurf gemacht und ihn durch  die ganze Schmährede hindurch einen Redenschreiber genannt. Möglich nun, daß er aus Ehrgeiz sich  des Schreibens für uns ganz enthält!

Sokrates: Einen gar lächerlichen Glauben, o Jüngling, sprichst du da aus, und du irrst dich gewaltig in  deinem Freunde, wenn du ihn für einen so Tadelscheuen hältst. Vielleicht aber glaubst du auch, daß sein Schmähredner mit dem, was er sprach, seine  wirkliche Meinung ausgesprochen habe?

Phaidros: Wenigstens kam er mir so vor, o Sokrates,  und du selbst weißt ja ebenso gut, daß die ein einflußreichsten und vornehmsten Männer in den  Städten sich schämen. Reden zu schreiben und  Schriftwerke von sich zu hinterlassen, aus Furcht  vor dem Urteil der Folgezeit, daß man sie Sophisten nennen möchte.

Sokrates: Ein Glykys Ankon, o Phaidros, wobei du  nicht bedenkst, daß das Sprichwort von dem Makros Ankon des Nil seinen Namen hat. Und abgesehen von dem Ankon, bedenkst du nicht, daß gerade diejenigen unter den Staatsmännern, die am meisten von sich halten, das Redenschreiben und das  Hinterlassen von Schriftwerken vorzugsweise lieben, wie sie ja auch, wenn sie eine Rede schreiben,  den Lobern derselben dermaßen huldigen, daß sie  die, welche sie jedesmal loben, gleich obenan beischreiben.

Phaidros: Wie meinst du dies; Denn ich verstehe  nicht.

Sokrates: Du verstehst nicht, daß auf dem Schriftwerk eines Staatsmannes sein Lober im Eingang  obenan geschrieben sei?

Phaidros: Wie?

Sokrates: »Es hat gefallen«, sagt er ja doch wohl,  »dem Rat, oder dem Volk, oder beiden«, und dann  redet, wer den Antrag stellte, nämlich der Schriftverfasser, der hiermit sich selbst gar vornehm aufführt und verherrlicht, nach diesem nun weiter,  indem er den Lobern seine Weisheit aufzeigt und  manchmal ein recht langes Schriftwerk verfaßt.  Oder scheint dir ein solches Werk etwas anderes zu sein als eine schriftlich abgefaßte Rede?

Phaidros: Mir gewiß nicht!

Sokrates: Und nicht wahr, wenn es nun bei demselben bleibt, so tritt der Verfasser frohlockend von  der Schaubühne ab; wenn es aber durchstrichen  wird und es also für ihn mit dem Redeschreiben  und der Würde des Schriftverfassers nichts ist, so  trauern sowohl er als seine Freunde.

Phaidros: Und gar sehr!

Sokrates: Sichtlich dann nicht als solche, die diese  Neigung gering achten, sondern wie solche, die  voll Bewunderung dafür sind?

Phaidros: Sehr wohl!

Sokrates: Wie aber? Wenn ein Redner oder ein  König, dem die Macht eines Lykurgos oder Solon  oder Dareios zu Gebot steht, zugleich der Mann ist, ein unsterblicher Redeschreiber in einem Staat zu  werden, - achtet er sich da nicht selbst noch bei  Lebzeiten einem Gott gleich, und die nach ihm  Kommenden, haben sie nicht dieselbe Meinung  von ihm, wenn sie auf seine Schriftwerke schauen?

Phaidros: Gar sehr.

Sokrates: Glaubst du nun, daß von diesen einer, wer  er auch und wie abgünstig er auch immer gegen  den Lysias sein mag, ihm gerade das zum Vorwurf  mache, daß er Schriftwerke verfasse?

Phaidros: Das ist nicht eben wahrscheinlich nach  dem, was du sagst! Denn er würde ja, wie es  scheint, aus seiner eigenen Leidenschaft einen Gegenstand des Vorwurfs machen.

Sokrates: Dieses also ist einmal jedem klar, daß es an und für sich wenigstens keine Schande ist, Reden  zu schreiben.

Phaidros: Wie sollte es auch?

Sokrates: Aber jenes, glaube ich, wird immerhin eine  Schande sein, nicht schön zu sprechen oder auch zu schreiben, sondern schändlich und schlecht?

Phaidros: Offenbar, ja!

Sokrates: Welches ist nun die Art und Weise, schön  zu schreiben oder nicht? Sollen wir etwa, o Phaidros, den Lysias darüber zur Rede stellen, und den  einen und anderen, der irgend einmal etwas geschrieben hat oder schreiben wird, sei es nun eine  Staats- oder eine Privatschrift, in gebundener Rede  als Dichter oder in ungebundener als Prosaiker?

Phaidros: Du fragst, ob wir sollen? Weshalb wäre  man denn eigentlich sozusagen auf der Welt, wenn  nicht eben gerade für die Vergnügungen dieser Art? Denn sicher nicht für jene, bei denen man sich vorher recht abkümmern muß, wenn man nicht auf das Vergnügen verzichten will, was ja so ziemlich bei  allen sinnlichen Vergnügungen der Fall ist; daher  sie auch mit Recht sklavische genannt werden.

Sokrates: Muße haben wir ja, wie es scheint. Zugleich kommt es mir vor, als ob auch die Zikaden  über unseren Häuptern bei der drückenden Hitze  singend und sich mit einander unterredend heruntersähen. Wenn sie nun auch uns beide wie die  meisten anderen sehen würden, wie wir, statt uns  zu unterreden, uns von ihnen aus geistiger Trägheit einschläfern und einwiegen lassen, so würden sie  wohl mit Recht lachen, in der Meinung, ein Paar  Sklaven sei zu ihnen in die Herberge gekommen,  um, wie Schafe an der Quelle, Mittag zu halten und zu schlafen. Wenn sie aber sehen, wie wir uns unterreden und uneingewiegt an ihnen, wie an den Sirenen, vorüberschiffen, dann dürften sie vielleicht,  entzückt darüber, uns geben, was sie zur Gabe für  die Menschen von den Göttern als ein Geschenk  erhalten haben.

Phaidros: Was haben sie denn aber für eines erhalten? Denn zufällig bin ich, wie es scheint, dessen  unkundig.

Sokrates: Nicht wohl steht es fürwahr einem musenfreundlichen Manne an, solcher Dinge unkundig zu sein. Es geht aber die Sage, daß diese da einst  Menschen, und zwar von denen gewesen seien,  welche lebten, ehe noch die Musen geboren waren.  Als aber die Musen geboren wurden und der Gesang zum Vorschein kam, da wurden also etliche  von den damals Lebenden dergestalt aufgeregt, daß sie singend Essen und Trinken vergaßen und auch  das Herannahen des Sterbens nicht inne wurden.  Aus diesen entsteht hierauf das Geschlecht der Zikaden, welches von den Musen das als Geschenk  empfing, von Geburt an keinerlei Nahrung zu be- dürfen, sondern ohne zu essen und ohne zu trinken  sogleich zu singen, bis es stirbt, und hernach zu  den Musen kommend ihnen zu melden, wer von  denen hienieden jede von ihnen verehre. Der Terpsichore also melden sie die, welche sie mit den  Chören verehrt haben und machen sie ihr befreundeter, der Erato die mit den Liebesliedern, und so  den übrigen je nach der besonderen Art der Verehrung. Der ältesten aber, der Kalliope, und der nach  ihr kommenden, der Urania, melden sie die, welche ihr Leben mit Philosophie hinbringen und die diesen eignende Musik ehren, wie ja sie unter den  Musen vorzugsweise dem Himmel und göttlichen  sowohl als menschlichen Reden obwaltend die  schönste Stimme von sich geben. - Aus vielen  Gründen also muß man am Mittag ja etwas besprechen und nicht schlafen.

Phaidros: Gesprochen also muß werden!

Sokrates: Nicht wahr, was wir uns eben vorgesetzt  haben, zu untersuchen, wie man es zu halten habe,  um eine Rede schön sowohl zu sprechen als zu  schreiben und wie nicht, das soll untersucht werden?

Phaidros: Offenbar!

Sokrates: Muß nun nicht für Reden, welche gut und  schön vorgetragen werden wollen, als Bedingung  gelten, daß der Geist des Sprechenden das Wahre  von dem wisse, worüber er sprechen will?

Phaidros: Hiervon habe ich so viel gehört, mein lieber Sokrates, daß es für den, der ein Redner werden wolle, nicht nötig sei, das wahrhaft Gerechte zu erkennen, sondern das, was der Menge, die zu richten habe, so erscheinen werde; denn aus diesem, nicht  aber aus der Wahrheit, ergebe sich das Überreden.

Sokrates: Nimmer fürwahr ein verwerfliches Wort  soll das sein, o Phaidros, was da weise Männer  sagen; sondern ansehen muß man es, ob damit  nicht wirklich etwas gesagt sei; und auch das jetzt  Gesagte darf also ja nicht beiseite gelassen werden!

Phaidros: Richtig gesagt!

Sokrates: Folgendermaßen denn wollen wir es ansehen!

Phaidros: Wie?

Sokrates: Wenn ich dich bereden würde, ein Pferd zu  erwerben, um gegen Feinde dich zu wehren, wir  beide aber kein Pferd kennen würden, ich jedoch  zufällig so viel von dir wüßte, daß Phaidros unter  den zahmen Tieren dasjenige, welches die längsten  Ohren hat, für ein Pferd hält -

Phaidros: So wäre das, o Sokrates, ja gar lächerlich!

Sokrates: Noch nicht so gar; aber wenn ich dich nun  im Ernst dazu bereden würde, indem ich eine Lobrede auf den Esel abfaßte, worin ich ihn Pferd nennen und davon sprechen würde, wie dieses Vieh  alles wert sei zu Haus und im Feld, zum Herabfechten brauchbar und noch zum Tragen tüchtig für das Gepäck und zu vielem anderen nützlich -

Phaidros: So wäre das denn doch schon über alle  Maßen lächerlich!

Sokrates: Ist es nun nicht besser, ein lächerlicher, als  ein arger und feindseliger Freund zu sein?

Phaidros: Sichtbar!

Sokrates: Wenn nun der Redefertige, der Gutes und  Schlechtes nicht kennt und eine geradeso beschaffene Gemeinde vor sich hat, diese beredet, nicht so, daß er über den Schatten des Esels eine Lobrede  hält, als wäre es der eines Pferdes, sondern über  etwas Schlechtes, als wäre es Gutes, - wenn er so  die Menge, weil er ihre Ansichten wohl erwogen  hat, zu bereden weiß. Schlechtes zu tun statt Gutes: was für eine Frucht, glaubst du, werde die Redekunst von der, welche sie da gesät hat, in der Folge  ernten?

Phaidros: Freilich keine gar anständige!

Sokrates: Vielleicht haben wir aber, mein Guter, die  Kunst der Reden derber geschmäht, als sich gebührt? Diese möchte vielleicht sagen: »Was faselt  ihr doch da, ihr Wunderlichen? Denn ich nötige ja  niemanden, der das Wahre nicht kennt, sprechen zu lernen; sondern wenn ich etwas mitraten darf, so  erwirbt er zuvor jenes, um dann erst mich aufzunehmen. Das aber spreche ich bestimmt aus, daß  der, der auch das an und für sich Seiende weiß,  ohne mich darum noch um nichts mehr imstande  sein wird, kunstmäßig zu überreden.«

Phaidros: Wird sie nun, indem sie dieses sagt, nicht  ganz Richtiges behaupten?

Sokrates: Ich bejahe es, wenn die in ihrem Gefolge  gehenden Reden Zeugnis geben, daß sie eine Kunst sei! Denn es ist mir, als hörte ich gewisse Reden  herbeikommen und Zeugnis ablegen, daß sie lüge  und keine Kunst sei, sondern ein kunstloser Betrieb. Eine echte Kunst zu sprechen aber, sagt der  Lakonier, ohne die Wahrheit ergriffen zu haben,  gibt es weder jetzt noch wird es je später geben.

Phaidros: Diese Reden müssen herbei, o Sokrates!  Bringe sie nur her und forsche sie aus, was und wie sie reden?

Sokrates: Herbei denn, ihr edeln Tierchen, überzeuget den Phaidros, den mit den schönen Sprößlingen,  daß, wenn er nicht tüchtig philosophiere, er auch  niemals tüchtig sein werde, über irgend etwas zu  reden! Der Phaidros also soll antworten!

Phaidros: Fraget nur!

Sokrates: Nun also, sollte nicht die Redekunst im allgemeinen eine gewisse Seelenleitung sein durch  Reden, nicht nur bei den Gerichten und was es  sonst noch für öffentliche Versammlungen gibt,  sondern auch in Privatkreisen, die immer sich  gleich bleibt, sowohl wenn es um kleine als wenn  es um große Angelegenheiten sich handelt? Und  ihre formgerechte Übung, hat sie nicht immer denselben Wert, sie zeige sich an ernsten Gegenständen oder an unbedeutenden? Oder wie hast du dieses gehört?

Phaidros: Nein, beim Zeus, ganz und gar nicht so!  Sondern vorzugsweise wird in Rechtssachen kunstmäßig gesprochen und geschrieben, gesprochen  auch in Volksreden; Weiteres aber habe ich nicht  gehört.

Sokrates: Aber hast du denn nur von den  Redekunstlehren des Nestor und Odysseus Kunde  erlangt, die sie bei müßiger Weile vor Ilion geschrieben haben, der des Palamedes aber bist du  unkundig geblieben?

Phaidros: Ja, beim Zeus, ich für meinen Teil auch der des Nestor, wenn du nicht etwa aus einem Gorgias  einen Nestor herrichtest oder aus einem Thrasymachos und Theodoros einen Odysseus!

Sokrates: Vielleicht! Doch lassen wir diese! Du aber  sage: Was tun denn bei den Gerichten die gegnerischen Parteien? Nicht wahr, sie sprechen gegen  einander? Oder was wollen wir sagen?

Phaidros: Eben das!

Sokrates: Und zwar vom Recht sowohl als vom Unrecht?

Phaidros: Ja!

Sokrates: Wird nun nicht der, der dies kunstmäßig  tut, bewirken, daß dieselbe Sache denselben Leuten bald als Recht, wenn er aber will, als Unrecht erscheint?

Phaidros: Wie anders?

Sokrates: Und bei einer Volksrede, daß der Volksgemeinde dasselbe bald gut, bald wieder das Gegenteil zu sein dünkt?

Phaidros: So ist's!

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